In außergewöhnlich stürmischen Lebensphasen kann es hin und wieder schwierig sein, wieder ins Lot zu kommen. Der Fahrplan durchs Leben, den man in diesen Momenten dringend bräuchte, gibt es meistens nicht. Eine Ausnahme ist das LOT in der Absberggasse im zehnten Bezirk ­– um dorthin zu kommen, nimmt man nämlich am besten einfach eine der folgenden Straßenbahnlinien: 6, 11 oder D. „Eine schöne Rückmeldung, die wir bekommen haben, war: Ganz egal, wann ich vorbeischaue – jedes Mal, wenn ich ins LOT komme, findet gerade etwas Besonderes statt“, erzählt Hans-Christian Hasselmann, Theatermacher und Mitbegründer. Wir treffen ihn, Maren Streich und Jana Mack an einem besonders stürmischen Tag in der Ankerbrotfabrik, wo das LOT beheimatet ist.

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Doch was ist das LOT überhaupt? Die Website mit der angenehm kurzen URL lot.wien beantwortet die Frage folgendermaßen: ein „Das LOT soll die zentrale Anlaufstelle für transdisziplinäre Kunst & Artistic Research werden.“ Ob hinter dieser Beschreibung ein Kollektivgedanke steckt, möchten wir von den LOT-Gründer*innen wissen. „Wir sehen uns eher als Hafen und Anlegestelle“, erklärt Hans-Christian. „Dahinter steckt der Wunsch, durchlässig zu bleiben. Leute können bei uns andocken, mitkreieren und auch wieder ablegen. Wir sehen das als sehr dynamischen Prozess.“ Aktuell nützen 60 bis 70 Lots*innen den Raum auf unterschiedliche Weise und bringen ihre Ideen und Vorstellungen mit ein.

Das Lot
Im LOT finden regelmäßig Veranstaltungen statt. Manche sind nur für Lots*innen, andere stehen allen offen.

Foto: Jana Mack

Bau-Stelle für prozessorientiertes Arbeiten

Doch nun erstmal zum Anfang: Gegründet wurde der zum LOT gehörende Kulturverein ECHOLOT mitten in der Pandemie. Auch eine geeignete Anlegestelle war schnell gefunden – ein sanierungsbedürftiger Raum in der Ankerbrotfabrik im zehnten Bezirk. „Ich weiß nicht, ob wir uns den Raum erobert haben oder der Raum uns erobert hat“, sagt die Journalistin, Fotografin und Podcasterin Jana Mack. Bevor die künstlerische Arbeit beginnen konnte, wurden zuerst Ziegel neu verputzt und der Hammer geschwungen.

„Es hat gutgetan in dieser Zeit, in der künstlerisch ohnehin nicht viel möglich war, mit einer Baustelle zu starten. So haben wir uns den Raum habhaft gemacht und uns auf sehr intensive Weise mit ihm verbunden“, ergänzt der Regisseur Hans-Christian Hasselmann. Auf diese Weise wurde die Baustelle für die Gründer*innen auch zum Credo – und zur Metapher für prozessorientiertes Arbeiten. „Es geht uns hier nicht darum, polierte Arbeiten zu zeigen, sondern immer im Werden und im Umbruch zu bleiben“, fügt er hinzu.

Wir sind rausgegangen und haben nachgefragt, welche Art von Kultur sich die Menschen hier wünschen.

Jana Mack
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Ein weiterer Leitgedanke der Lots*innen lautet: „Neue Kunst braucht neue Orte“. Dadurch, dass sich das LOT nicht im Stadtzentrum befindet, ist es ein Angebot nach draußen, sagt die Schauspielerin Maren Streich, die ebenfalls zum Founding-Team gehört. Das Erschließen neuer (Zwischen-)räume brachte auch die Möglichkeit mit sich, auf Wünsche und Bedürfnisse der unmittelbaren Umgebung einzugehen. „Wir sind rausgegangen und haben nachgefragt, welche Art von Kultur sich die Menschen hier wünschen“, ergänzt Jana. Zum Antwortspektrum gehörte unter anderem „ein Springseil“ und „eine Playstation“, erzählen die drei Gründer*innen lachend. „Es gab aber auch Leute, die gesagt haben, dass sie gar keine Zeit für Kultur haben.“

Senden und Empfangen

„Senden und Empfangen“ lautet die Vision, die diesen Aktivitäten zugrunde liegt. Auch im Begriff LOT, der sich von ECHOLOT ableitet, steckt dieser Leitgedanke. „Ein Echolot ist ein nautisches Gerät, das Schallwellen aussendet, um die Entfernung zu messen (Senden), in dem es die zurückgeworfenen Schallwellen auswertet (Empfangen). Das versuchen wir mit unterschiedlichen Methoden und Ansätzen in unseren Arbeitsprozess und in die daraus entstehenden Formate einzubinden. Das Ziel ist, dadurch eine kontinuierliche Wechselbeziehung zwischen Innen und Außen zu programmieren, sodass wir in einer sich stetig erneuernden Auseinandersetzung mit unserer Umgebung bleiben“, erklärt das Gründungsteam im Interview mit „Les Nouveaux Riches“.

Damit ist nicht nur die formale Wechselwirkung gemeint, sondern auch jene zwischen den beteiligten Künstler*innen. Viele der Konzepte fußen auf Ideen der Relational Art, wurden jedoch mit eigenen Prinzipien angereichert. Formate wie der ARTWALK, bei denen es darum geht, Stimmen und Stimmungen aus der direkten Umgebung einzufangen, sollen aber niemals eine voyeuristische Atmosphäre vermitteln, sondern auch dazu dienen, Klischees abzubauen.

Das Lot
Die ART WALKS führen die Besucher*innen hinaus in den Bezirk.

Foto: Jana Mack

A LOT of Formate

Die ARTWALKs sind jedoch nur eines jener vier Formate, die es im LOT gibt. Im Rahmen von OPENLOT steht der Raum in der Ankerbrotfabrik all jenen offen, die ihn für ihre Projekte nutzen möchten. Dieses Jahr im Oktober. Das LOTLab richtet sich an alle Lots*innen, findet einmal pro Monat statt, und ist als Brutkasten für neue Formate zu verstehen. MOSAÏQUE lädt dazu ein, sich zu aktuellen Zwischenstände und Unfertiges auszutauschen – die letzte Ausgabe fand unter dem Motto „What do you do when you’re stuck“ statt. „Der Rest ist freie Zeit bzw. freier Raum“, ergänzt Hans-Christian Hasselmann. „Wir möchten das Programm nicht zu dicht gestalten, damit noch Raum für kurzfristige Ideen und Reaktionen bleibt.“ Mehr als genug Gründe also, um ins LOT zu kommen.

Nächste Gelegenheit dazu bietet der ARTWALK Palimpsest, der Ende Mai durch das ganze Gelände der ehemaligen Ankerbrotfabrik führt und sich künstlerisch mit ihrer Geschichte auseinandersetzt, bevor die Traditionsbäckerei das Areal Ende 2023 endgültig verlässt. Und noch ein musikalischer Tipp: Am 29. April findet im LOT ein Konzert des Schweizer Musikers Max Berend statt.

Zu allen Veranstaltungen im LOT und drumherum!