Ein paar Monate hat’s gedauert. Dann hat er zugesagt, der Mann, der einer der reichsten Österreicher ist und nahezu alle wichtigen Musiktheater in Wien und weltweit sponsert. Martin Schlaff ist etwas gelungen, was sonst nur Schauspieler*innen gelingt: der Verlust des Vornamens. Eine Adelung. „Der Schlaff“ nennen sie ihn in Wien. Wenn er anruft, dann heben nicht nur Theaterdirektor*innen ab, sondern auch Regierungschefs. Er kennt viele, und noch mehr wollen ihn kennenlernen. Und weil er Letzteres sehr selektiv betreibt, wurde er zu etwas, was er selber vermutlich nicht sein möchte: einem Mythos. Aber es gibt Schlimmeres.

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Was machen Sie heute Abend?


(Lacht.) Ich überlege, ob ich ins Theater an der Wien zur „Freischütz“-Premiere gehen soll oder in die Staatsoper in die großartige „Eugen Onegin“-Produktion von Dmitri Tcherniakov. Sehr guter Dirigent und sehr gute Besetzung übrigens. Vergleichen Sie einmal: Wenn Sie nach New York kommen, dann gibt es nur noch das eine Opernhaus. Bei uns kann man mittlerweile sogar in die Volksoper gehen. Was für ein Geschenk.

Die wichtigste Frage in der Psychologie ist jene nach dem Wozu. Also: Wozu sponsern Sie?

Ich sage Ihnen, wie das alles begonnen hat: Vor vielen Jahren – damals bin ich fast nur in die Staatsoper gegangen – habe ich festgestellt, dass ich auf einem subventionierten Platz sitze, und das hat mich gestört. Und so hab ich den damaligen Direktor Holender angerufen und gesagt: „Ich will irgendetwas tun, damit ich nicht mehr auf einem subventionierten Platz sitze, ich will Ihnen etwas dafür geben.“ Ich hab mir immer gedacht: Die Oper gibt mir so viel und kann auch so vielen anderen Menschen etwas geben. Also wurde ich Donator. Ich hatte zuerst zwei Plätze, dann eine Loge, dann eine zweite, und dann habe ich das überall durchgezogen, wo ich gerade war. Also kam New York dazu. Wissen Sie: Das Genre Oper darf nicht untergehen, und damit das nicht passiert, braucht es junge Zuseher und junge Künstler, und die muss man fördern. Viele der jungen Komponisten schreiben lieber Filmmusik oder Musik für Computerspiele. Da hilft Förderung, und man muss junge Menschen auf den Geschmack bringen, in die Oper zu gehen. Das wurde dann so mein Ziel.

Hat Ihr Sponsoring auch etwas mit der Erkenntnis der eigenen Endlichkeit zu tun?

Meiner eigenen Endlichkeit bin ich mir sehr, sehr bewusst. Das Thema ist bei mir sehr präsent, auch weil ich einen spätgeborenen Sohn habe – ich war fast 57, als er geboren wurde. Aber das beeinflusst mein Sponsoring nicht.

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Nach welchen Kriterien wählen Sie eigentlich Ihr Sponsoring aus?

Na ja, das Hemd ist mir näher als der Rock. Das bedeutet: Wien ist für mich der Schwerpunkt, jetzt natürlich auch die Osterfestspiele in Salzburg. Großartig, was Klaus Bachler dort macht. Und alles, was mit Jugend zu tun hat …

Der Vergleich mit früher ist eine Beleidigung für Frau Lotte de Beer und Herrn Bogdan Roščić.

Martin Schlaff, Kunstmäzen

Sie sponsern die junge Geigerin Lilia Pocitari. Könnten Sie mir an ihrem Beispiel erklären, wie Sie da rangehen?

Die Geige ist das jüdischste Instrument, vielleicht weil man es auf der Flucht sehr gut mitnehmen konnte. Aber ich schweife ab: Ich habe sie spielen gehört und war begeistert. Julian Rachlin hat mir aber gesagt: „Eine große Karriere ist unmöglich, wenn sie keine erstklassige Geige hat, ohne diese kannst du als junge Geigerin noch so talentiert sein. Keine gute Geige bedeutet kein Agent, bedeutet keine Konzerte.“ Ich war verblüfft. Tel Aviv, wo Lilia Pocitari studiert hat, ist eine Stadt mit sehr hoher Milliardärsdichte, und da gibt es keinen Einzigen, der auf die Idee kommt, so etwas zu machen? Also habe ich Julian Rachlin gefragt: Wie funktioniert so etwas? Da hat er gesagt: „Wenn du ihr eine Geige zur Verfügung stellen willst, dann mach das für fünf Jahre. Wenn man ihr dann keine Stradivari nachwirft, dann sollte sie lieber im Orchestergraben verschwinden – was bei Pocitari nicht der Fall sein wird.“ Na ja, und so kam es: Wir haben eine Geige gesucht, die eine Klasse unter der Stradivari ist. Das war gar nicht so einfach – es war die Covid-Zeit, und man muss auch eine Geige finden, die zum Geiger passt. Aber wir haben es hinbekommen. Als Lilia dann bei ihrem ersten Auftritt im Wiener Konzerthaus mit dieser Geige stehenden Applaus bekommen hat, war das ein unfassbares Gefühl für mich. Aber auch diese Geschichte zeigt: Vieles geschieht aus einem Zufall heraus.

Zur Person: Martin Schlaff

ist einer der reichsten Österreicher. Er verdiente seine erstenMillionen im Osthandel, später u. a. mit Mobiltel-Deals. Er ist Träger des Goldenen Ehrenzeichens der Stadt Wien,Vater von mehreren Kindern und seit 1986 Mitglied der SPÖ.

Mischen Sie sich eigentlich bei den Häusern, die Sie sponsern, ein? Gibt es da den wöchentlichen Schlaff-Kontrollanruf?

(Lacht.) Nein. Wenn ich mich zur Analyse auf die Couch legen würde, dann ist vermutlich ein bisschen ein Schuldgefühl bei meinen Aktivitäten dabei: ich, ein Linker, der von Beruf Investor ist. Ich habe übrigens die Volksoper auch zu einer Zeit gesponsert, als ich dort nicht reingehen wollte.

Aber im Vergleich zu früher hat sich ja in der Staatsoper und der Volksoper viel getan …

(Schlaff unterbricht lachend.) … Der Vergleich mit früher ist jetzt eine Beleidigung für Frau Lotte de Beer und Herrn Bogdan Roščić. Ich finde, dass wir derzeit in Wien sehr, sehr glücklich über die Staatsopern- und Volksopernführung sein können. Ich finde im Übrigen den Intendanten des Theaters an der Wien, Stefan Herheim, großartig. Toller Mann.

Sie finanzieren auch den Posten des Musikalischen Leiters der Volksoper – Omer Meir Wellber. Da rufen Sie nie an und sagen, „Jetzt mach mal …“?

Ich bin mit Omer befreundet, und als er das Angebot aus Wien bekam, da hat mich der Geschäftsführer der Volksoper angerufen und gefragt, ob ich das finanziell unterstützen würde – habe ich gemacht. Und ich muss sagen: Was ich seither in der Volksoper erlebt habe – es hat sich ausgezahlt.

Geben Sie auch programmatische Wünsche ab?

Nein. Einzige Ausnahme: Ich habe im Gespräch mit Omer Meir Wellber Luc Bondys großartige „Salome“-Produktion erwähnt und dass Bondy einen ganz besonderen Status in Wien hatte. Also habe ich zu Omer gesagt: „Warum machst du das nicht? Probier’s doch. Es wäre auch eine Hommage an Luc Bondy, der ein enger Freund von mir war.“ Das war mir emotional ein Anliegen. Und die haben das gemacht. Allerdings ist ihnen dann das Geld ausgegangen, und sie haben mich angerufen – und ich unterstütze das … (Lächelt.)

Wollen Sie darüber reden, wie viel Sponsoring-Geld Sie pro Jahr ausgeben?

Nein.

Und wie zufrieden sind Sie mit Bogdan Roščić?

Er hat alles richtig gemacht: die Erneuerung des Repertoires, die richtigen Stücke, die richtigen Regisseure, tolle Sänger – und dann hatte er das Pech, dass gleich in seiner ersten Spielzeit die Covid-Krise ausgebrochen ist. Persönlich stören mich nur die Dirigenten in der Staatsoper. Er war zu nett zu Philippe Jordan. Er hätte klar sagen müssen: Den verlängere ich nicht. Aber Roščić ist ein zu feiner Mensch, er wollte Jordan eine Brücke bauen, und dann ist der ihm in den Rücken gefallen. Jordan ist sicher ein ordentlicher Dirigent, aber jetzt kommt bei jeder Premiere diese Claque und wirft Blumensträuße runter. Vielleicht sind die ja auch wirklich Fans, aber jeder in der Oper weiß, woher das kommt.

Von seinem Manager?

Dazu kann ich nichts sagen. Das Einzige, was ich über seinen Manager weiß, ist, dass er allen, die in der Oper in seiner Nähe sitzen, unangenehm auffällt, weil er ständig mitdirigiert. Das will man nicht sehen.

Warum sponsern Sie eigentlich nicht auch das Sprechtheater?

Das ist ganz einfach: Ich mag auch das Sprechtheater, aber ich muss meine Zeit als Vater und als Investor managen. So viel Zeit bleibt dann nicht mehr für Kultur, und das, was übrig bleibt, habe ich der klassischen Musik und dem Besuch von Ausstellungen gewidmet. Außerdem: Ich bin ein nüchterner Zahlenmensch. Mich interessiert nicht die dreißigste Neuinterpretation eines Stückes. Aber Musik löst bei mir einen Kurzschluss direkt zur Emotion aus.

Woher kommt Ihre Liebe zur klassischen Musik und zur Oper?

Ich bin im dritten Bezirk in Wien aufgewachsen. Das Küchenfenster ging in einen großen Hof, in denselben Hof gingen die Fenster von Ljuba Welitsch, deren Stimme ich häufig hören konnte, wenn sie geübt hat. Mein Vater war ein Fan des berühmten Kantors Yossele Rosenblatt, und so hörte ich von der Küche die „Salome“ von Welitsch und im Wohnzimmer Schallplatten mit der wunderbaren Stimme von Rosenblatt. Meine Mutter war ein riesiger Opernfan. Sie war am Tag der Wiedereröffnung 1955 sogar vor der Oper.

Ihre Eltern waren sehr religiös. Spricht irgendetwas für die Existenz Gottes?

Nein. Für mich nicht. Aber es muss sehr viel dafür sprechen, denn es gibt so viele gläubige Menschen.

Was ist für Sie die stärkste Idee des Judentums?

Für mich ist das Judentum ein Gesamtkunstwerk, wo jeder sich holt, was ihm entspricht. Bei mir ist es die Kultur, die Sprache, die Musik, die Schicksalsgemeinschaft, die Tradition, aber nicht die Religion.

Sie haben mit „Der Anständige“ eine der eindrucksvollsten Dokumentationen über den SS-Chef Heinrich Himmler finanziert. Haben Sie etwas Derartiges wieder in Planung?

Das war ein Zufallsprodukt. Es wurde mir über eine Bekannte zugetragen. Es war das sprichwörtliche Korn, das das blinde Huhn gefunden hat. Ich habe mich da auch sehr hineingesteigert. (Lacht.) Aber seitdem glauben viele, dass ich Filme finanzieren will. Will ich aber nicht, außer es würde wieder etwas so Packendes an mich herangetragen werden. Bisher waren da aber nur Dinge dabei, die mich nicht interessiert haben.

Zur Person: Der Sponsor

Martin Schlaff unterstützt die Wiener Staatsoper, das Theater an der Wien, die Volksoper, die Wiener Festwochen, die Festspiele Grafenegg und die Osterfestspiele in Salzburg. Er spendete auch an die Met in New York, die Scala in Mailand, das Festival in Luzern. Er unterstützt die Orchesterakademie der Wiener Philharmoniker und das Europäische Jugendorchester, das Opernstudio der Staatsoper und der Volksoper. Allein durch das Programm „Gemeinsam zur Oper“ (Theater an der Wien) wurde 4.000 Kindern ein Opernbesuch ermöglicht. Der jungen Violinistin Lilia Pocitari finanzierte er eine Geige von Nicola Bergonzi aus dem Jahr 1790. Er schenkte der Stadt Wien 5.000 Antisemitica-Objekte und der Hofreitschule seine historische Kutschensammlung. Außerdem finanzierte er 2014 die Dokumentation „Der Anständige“ der ungarischen Filmemacherin Vanessa Lapa über SS-Chef Heinrich Himmler. Daneben finanziert Schlaff unter anderem die Forschung in der pädiatrischen Gastroenterologie und die Organisation Chabad und rettete gemeinsam mit Steven Spielberg tausende Kinder aus Tschernobyl. Außerdem finanziert er den Wiener Kindergarten „Gan Sara“ als auch den – ebenfalls von Chabad organisierten – „Chaim Schlaff Dining Room“, in dem täglich kostenlos bis zu 300 Mahlzeiten an Bedürftige abgegeben werden. In seinem Gestüt in Niederösterreich bietet Schlaff pro bono pferdegestützte Therapie für Kinder an. Die Österreichische Krebshilfe ernannte ihn 2010 zum „Sponsor des Jahrhunderts“. Diese Liste der Sponsor-Tätigkeiten ist natürlich nicht vollständig.

Sie sammeln auch Kunst – Lust auf ein eigenes Museum?

(Grinst.) Nein. Wissen Sie, ich habe so viele Kinder …

Irgendwie waren die Politiker, als ich ein Kind war, umfassender gebildet. Heute sind das Manager of Public Affairs.

Martin Schlaff, Kunstmäzen

Wenn Sie so auf unsere Zeit schauen: Welche Sorte Denken fehlt unserer Zeit?

Wir bräuchten eine neue Welle der Aufklärung – wobei der englische Ausdruck „Enlightment“ es besser trifft. Irgendwie waren die Politiker, als ich ein Kind war, umfassender gebildet. Heute sind das Manager of Public Affairs.

So schön und höflich hat noch nie jemand das Wort „unfähig“ umschrieben.

Wieso? Ich meine das ernst. Man kann ja auch gut managen. Aber das Managen öffentlicher Angelegenheiten ist unkomplizierter als das Führen. Wir bräuchten mehr Politiker, die nicht auf Umfragen schauen, sondern die klare Wertvorstellungen haben. Die wissen, was richtig ist und was falsch. Die offen sind. Gebildet. So, wie Sokrates und seine philosophische Sicht auf das „gute Leben“. Politiker, die in diesem Rahmen handeln und den Menschen sagen, wo es langgeht. Nur die Energiepreise oder Covid zu managen, das ist mir zu wenig – selbst wenn’s gut gemacht ist.

Und wie geht es Ihnen mit der aktuellen Kulturpolitik?

Momentan bekleckern sich die üblichen Verdächtigen nicht mit Ruhm. Zum Beispiel diese Idee einer Superholding aus Bundestheater-Holding und einer Museums-Holding: Da greife ich mir an den Kopf. Es gibt dieses Modewort der Synergien. Wissen Sie, es gibt da diese Statistik, dass ein Großteil der Fusionen schiefgeht.

Jetzt noch die 100-Punkte-Frage: Wie kriegen wir die Häuser voll?

Ich glaube, die Kultur sollte bemüht sein, den potenziellen Adressaten die Hemmschwellen überwinden zu helfen, sie niederzureißen. Niemand soll gehemmt sein, in die Oper zu gehen – weil es wurscht ist, was du anbietest, wenn niemand kommt. Vielleicht sollte man die Preise der Nachfrage anpassen. Wiens Prominenz soll ruhig 1.500 Euro für eine Premiere samt Pausenbesuch beim Direktor im Teesalon zahlen. Dafür könnte man an einem schlecht verkauften Abend Spitzenplätze schon um 55 Euro anbieten. Vielleicht redet man mit den Beisln rund um die Häuser und bietet zur Vorspeise eine Werkseinführung. Vielleicht braucht es Shuttledienste von Parkgaragen zu den Häusern … Wissen Sie: Wenn die Menschen einmal drin sind, dann ist ihr Erlebnis dort auch ein Beitrag zu ihrer Aufklärung.

Herzlichen Dank für Ihre Zeit.