Manche Menschen leben in einem immerwährenden bestimmten Alter. Sie sind und waren immer zwanzig oder dreißig, und wenn sie achtzig werden, sind sie immer noch zwanzig oder dreißig. Vielleicht kommt jetzt einer und sagt, ja, genau – „in meinem Herzen“ bin ich zwanzig. Da zucke ich bereits zusammen. Das Herz ist in diesem Fall nämlich eine Metapher. Ein Stellvertreterwort, ein Platzhalter für etwas, was sich nicht in Worten ausdrücken lässt. Achtung, ab jetzt wird es verschwurbelt. Auch so ein Wort. Das gab es schon lange, während der Pandemie aber hat es an Gewicht gewonnen – schon wieder eine Metapher: Wie kann ein Wort an Gewicht gewinnen? Ich merke, ich bewege mich auf dünnem … ich spreche nicht weiter, es wäre nur wieder eine Metapher.

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Noch einmal von vorn: Manche Menschen leben in einem immerwährenden bestimmten Alter. Ich bilde mir ein – den Ausdruck „Herz“ will ich vermeiden –, ich bin „tief in mir drinnen“ dreizehn Jahre alt. Ich war schon dreizehn, als ich noch neun war, und bin heute mit über siebzig – „tief in mir drinnen“ – noch immer dreizehn.

Wenn ich diesen Satz lese, erscheint er mir kokett. Als wollte ich mich interessanter machen, als ich bin. Aber will man sich nicht immer interessanter machen, als man ist? Wie interessant bin ich denn? Radikal gefragt: Gibt es jemanden, der seine Tassen im Schrank hat, der sich selber interessant findet? Was meint: interessant finden? Zum Beispiel dies: Ich finde einen Menschen oder ein Thema interessant, wenn ich an ihm oder an der Sache immer wieder etwas Neues finde. Abgesehen davon, dass ich schon wieder eine Metapher verwendet habe – „finden“ ist hier ja wohl in einem „übertragenen Sinn“ zu verstehen –, glaube ich, schon wieder geschwurbelt zu haben. Kann es nicht ebenso interessant sein, in einem Menschen immer das verlässlich Gleiche zu sehen?

Ich stelle eine Behauptung auf: Gerade wenn wir lieben, wollen wir das Gleiche. Das trifft nicht nur auf die Erotik zu. Charlie Chaplin wurde von der ganzen Welt geliebt – solange er den Tramp spielte. Als er später in andere, in „normale“ Rollen schlüpfte (Metapher!), sank seine Popularität. Die Fans wollten von ihm immer das Gleiche sehen. Vor ein paar Jahren trat Bob Dylan in Bregenz im Festspielhaus auf. Nach dem Konzert sprach ich mit einer Frau in meinem Alter, von der ich wusste, dass sie in ihrer Jugend ein schon beinahe gnadenloser Fan des Meisters war, nicht den Hauch einer Kritik hatte sie zugelassen. Nun war sie enttäuscht. „Was hast du erwartet?“, fragte ich sie. „Ich gebe zu, sagte sie, ich habe erwartet, er ist, wie er vor sechzig oder wenigstens vor fünfzig Jahren war.“ Ich sagte: „Ich glaube, er ist erst jetzt bei seinem inneren Lebensalter angekommen. Er hat doch schon als Zwanzigjähriger getan, als wäre er achtzig.“

Wenn das Interessante das Neue ist, dann will Liebe weder interessant sein, noch Interessantes entdecken. Auch das ist wieder nur eine These. Obendrein eine von der Sorte, die nicht bewiesen werden kann und darum leicht in Streit ausartet. Das will ich riskieren und fahre fort: Die Liebe will das Interessante sogar aussondern, sie sucht das, was gleich bleibt. Im Zustand des Verliebtseins mögen andere Stimmungen, andere Ambitionen gelten, die Liebe aber meidet das Neue.

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Und damit sind wir wieder bei der Metapher. Die Liebe macht den geliebten Menschen zur Metapher. Sie sagt: Du sollst nicht sein, der du in diesem Augenblick bist, du sollst sein wie … Die Frage aber ist: Wie was? Wie wer? Wie wann?

Es kann nun wirklich nicht überraschen, wenn ich konstatiere, dass die Liebe zunächst ein übermäßig egoistisches Gefühl ist. Die Liebe, bevor sie Du sagt, sagt Ich. „Du sollst nicht sein, der du im Augenblick bist, du sollst sein, wie ICH irgendwann bestimmt habe, dass du bist.“ Und das heißt: wie ich dich gemacht habe.

Die Metapher bringt auf den Nenner – ich bringe dich auf den Nenner.

Ich kann auch sagen: Ich bringe mich auf den Nenner. Tatsächlich besteht zwischen mir und mir ein Liebesverhältnis. Das muss schon irgendwie sein, oder? Sonst würden wir ja gar nicht mehr vom Kanapee des Analytikers herunterkommen. Wenn ich also sage, mein wahres, ewiges Alter ist dreizehn Jahre, dann behaupte ich, in dieser Zeit ist das Immer-Gleiche in mir zur Blüte gekommen. Und damit habe ich mich selbst zur Metapher gemacht.

Im Alter zwischen dreizehn und fünfzehn – so viel Zeit lasse ich meinem „wahren Ich“, sich zu entfalten – habe ich die Romane um Tom Sawyer und Huckleberry Finn mehr als ein Dutzend Mal gelesen. Die beiden sind zwar erst zehn Jahre alt, aber wahrscheinlich war ich – bin ich – ein Spätzünder (Metapher!), und der Zehnjährige ist erst mit dreizehn in mir zur Macht gekommen. Diese beiden literarischen Helden sind bis heute meine Gradmesser des Glücks. Noch heute, wenn ich glücklich bin, fühle ich mich wie als Dreizehnjähriger. Mit Glück meine ich nicht dieses übergroße, nicht fassbare Etwas, über das in Schlagern gesungen und in philosophischen Werken spekuliert wird, sondern die Momente, wenn aus irgendeiner Torausfahrt ein bestimmter Duft weht oder wenn ich einen Dreigesang höre oder den Tonfall der Homerübersetzung von Johann Heinrich Voss – oder, wie es Marcel Proust in seinem Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ unübertrefflich beschreibt, wenn er Madeleines in den Tee taucht und der Geschmack ihn in die Kindheit zurückversetzt.

Ein Föhnstoß im Februar – da ist dieser Moment des Glücks, und in diesem Moment bin ich dreizehn Jahre alt.

Wir werden die Metaphern nicht los. Warum sollten wir auch? Sie bebildern unsere Sprache. Es sind Bilder, die uns die Wirklichkeit näherbringen sollen, sie aber zugleich auf Abstand halten. In der Metapher machen wir uns die Wirklichkeit selbst. Auch das eine nicht beweisbare Behauptung – die Metapher der Behauptung sozusagen. Und wenn ich mich selbst zur Metapher mache, indem ich sage, ich fühle mich durch mein ganzes Leben als Dreizehnjähriger, dann – ja dann schaffe ich mich selbst. Das soll mir die Wirklichkeit erst einmal nachmachen!