Mitgehangen, mitgefangen!
Für Sebastian Baumgartens Inszenierung von Luis Buñuels „Der Würgeengel“ hat der renommierte Künstler Tobias Rehberger ein Bühnenbild entwickelt, das geschickt mit der Wahrnehmung von innen und außen spielt.
„In ist, wer drin ist“, lautet der Slogan eines österreichischen Portals für Partyfotos, das innen und außen mittels Fotobeweisen voneinander abzugrenzen versucht. So klar, so gut. Mit seiner „Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“ lässt Peter Handke die Sache schon etwas brüchiger erscheinen. Aber um durchtanzte Nächte, „Pics or it didn’t happen“- Slogans und Handke-Texte soll es hier eigentlich gar nicht gehen, sondern um Sebastian Baumgartens Inszenierung des ikonischen Buñuel-Films „Der Würgeengel“ im Volkstheater.
Die Handlung des Films aus dem Jahr 1962 ist schnell erklärt – und damit vielleicht auch der etwas diffuse Einstieg in diesen Artikel: Eine bourgeoise Gesellschaft feiert in einem Stadtpalais eine Party. Obwohl Türen und Fenster weit offen stehen, gelingt es ihnen am folgenden (Kater-)Tag nicht, dieses zu verlassen. Eine unsichtbare Gewalt scheint sie zurückzuhalten. Grund zu feiern gibt es für die illustre Partygesellschaft nach dieser Erkenntnis klarerweise keinen mehr. Ganz im Gegenteil: „In ist, wer drin ist“ wird zur Drohung, die sich mit jedem Ausbruchsversuch auf nervenzerfetzende Weise zuspitzt. „Vorgeführt wird, wie diese Aristokratie allmählich ihre Fassung, ihre Façon, ihre Maske verliert und auf ein nahezu animalisches Niveau herunterkommt“, heißt es in einer Buñuel-Monografie.
Abschottung gegen das andere
Die ersten Überlegungen zur Adaption des Films für die Bühne des Volkstheaters fanden bereits in der Hochphase der Coronapandemie statt. Es gebe zwar eine naheliegende Verbindung zwischen Buñuels Geschichte und den Auswirkungen der Pandemie, trotzdem gehe es ihm immer um eine „Suche nach Stoffen, die in ihren naheliegenden Aspekten auch sehr viel Weitblick zulassen“, erläutert Sebastian Baumgarten. „Um geräumige Stoffe“, fasst er zusammen. „Wir sehen eine Gesellschaft, in der sich Agonie, Ziellosigkeit und Sinnlosigkeit breitmachen. Buñuel, als Kritiker dieser bourgeoisen Geisteshaltung, stellt damit die für ihn wichtige Frage nach der Bedeutung dieses bürgerlichen Daseins in einer endzeitlichen Situation.“
Bezieht man die Handlung des „Würgeengels auf die Gegenwart, geht es darin aber auch um die politische Wirkungsmacht der Abschottung gegen das andere und der damit einhergehenden Beschränkung auf das Eigene. Wie auch um „Menschen, die sich in sich selbst zurückziehen, weil sie spüren, dass sie in dem System, das sie sich selbst errichtet haben, nicht mehr so viel werden können“, führt Baumgarten weiter aus.
Theater trifft bildende Kunst
So geräumig der Stoff ist, so klaustrophobisch geht es im Inneren der Geschichte zu. Wie es gelänge, das Gefühl dieser Ausweglosigkeit auf einer Theaterbühne darzustellen, wurde daher schnell zu einer der drängendsten Fragen für Sebastian Baumgarten – die er aber natürlich nicht alleine beantworten musste. Als Bühnenbildner konnte der mit einem Goldenen Biennale-Löwen ausgezeichnete deutsche Künstler Tobias Rehberger gewonnen werden. „Und damit eine völlig andere Perspektive, nämlich die eines bildenden Künstlers“, fügt der Regisseur hinzu. „Wir haben immer wieder darüber gesprochen, dass im Film ganz andere Sachen möglich sind als im Theater. Im Film kann man Dinge einfach behaupten, die man im Theater herleiten muss“, erklärt Tobias Rehberger.
Am Ende geht es immer um die Perspektive. Was ist drinnen undwas ist draußen?
Tobias Rehberger, Bildhauer
Die räumliche Begrenzung und die damit verbundene Ausweglosigkeit, in der sich die Charaktere befinden, so zu vermitteln, dass die Spieler*innen trotzdem sichtbar bleiben, war eine der größten Herausforderungen für das gesamte Team. „Ich habe versucht, eine Art Labyrinth zu schaffen, aus dem man nicht herauskommt, in das man aber trotzdem hineinschauen kann“, so Rehberger.
Wie so oft in seiner künstlerischen Arbeit laufe es am Ende auf Fragen zur Perspektive hinaus: Was ist drinnen und was ist draußen? Welche Position ist die der Beobachter*innen und welche die der Eingeschlossenen? „Es gab auch Überlegungen, die Grenze zwischen dem Publikum und den Spielenden aufzulösen“, ergänzt der Künstler, der sich gut vorstellen könnte, wieder einmal ein Bühnenbild zu entwickeln. Die damit verbundenen Herausforderungen begreift er als Motivation. „Mein Interesse wäre vermutlich nicht ganz so groß, wenn mir die Sache einfach aus dem Ärmel gefallen wäre“, sagt er lachend.
Theater als Diskussionsraum
Die Tarnung von Objekten durch Übermalungen und Überklebungen, die Tobias Rehbergers Schaffen auch abseits der Bühne prägt, sorgt auch hier für ein Verschwimmen von innen und außen – für eine Verunklarung jenes Raumes, durch den sich die Spieler*innen auf der Bühne bewegen. Mit einem solchen Raum in Überlegung zu geraten, empfindet Sebastian Baumgarten als großes Geschenk.
„Das setzt unglaublich viel Kreativität frei“, so der Regisseur, der zum ersten Mal in Wien inszeniert. Das Volkstheater nimmt er als Haus wahr, das sich mit seiner Gegenwart auseinandersetzen möchte – „und es sich erlaubt, dabei auch manchmal in eine Kontroverse zum Publikum zu geraten“, fügt er nach einer kurzen Pause hinzu. „Doch dafür sind wir ja in einer bestimmten Form auch da – um nicht immer das zu bestätigen, was ohnehin alle sagen.“ Oder um es mit Heiner Müller auszudrücken: „Die Tragödie findet nicht auf der Bühne, sondern zwischen Bühne und Zuschauerraum statt.“ Kurz: im gesamten Theaterraum. Der irgendwie immer auch eine Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt ist.