Das Leben ist nicht immer eine Vorrang­straße. Sondern manchmal auch ein holpriges Gewirr mit vielen Abzweigun­gen, Gabelungen und Wendepunkten. 

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Im Falle der Karrieren von Johanna Mahaffy und Paula Nocker würde man bei Zweiterer Ersteres vermuten, wiewohl Konträres der Fall ist. Denn die Tochter des Schauspielerpaars Maria Happel und Dirk Nocker nahm einige überraschende Umwege, ehe ihr künstlerisches Navi sie auf die Bühne führte. Johanna Mahaffy hingegen, Tochter einer Pianistin und eines schottischen Golf-Pros, wählte, will man metaphorisch vom Straßenverkehr zum Alpinismus wechseln, die Direttissi­ma, also den geradlinigen Aufstieg. 

„Für mich nicht“, antwortet sie also wenig überraschend auf die Frage, ob es je eine berufliche Alternative gegeben hätte. „Ich habe ziemlich früh begonnen und mich schon in der Schule, wo ich das Freifach Bühnenspiel belegt habe, in das Schauspiel verliebt. Mein ­Theaterlehrer meinte, ich hätte Talent, und dieser Behauptung wollte ich auf den Grund gehen.“ Erst an der Jungen Burg, dann im Jungen Ensemble Hörbiger. „Die Schule lief nebenher, im Zentrum stand für mich das Theater.“ Und daran änderte sich bis heute nichts. Johanna Mahaffy absolvierte das Max Reinhardt Seminar, debütierte schon im zweiten Ausbildungsjahr im Theater in der Josefstadt, wo sie in „Eine Frau – Mary Page Marlowe“ gemeinsam mit drei Kolleginnen die Titelrolle verkörperte, und trat im vierten Jahr in „Der Bockerer“ und – unter der Regie von Claus Peymann – in „Der König stirbt“ auf. Unmittelbar nach diesen Premieren wurde sie Ensemblemitglied. 

Paula Nocker und Johanna Mahaffy
Aufgewachsen in Wien, stand Paula Nocker mit acht Jahren erstmalig auf einer Bühne und vor einer Filmkamera. Nach mehreren Studienausflügen nahm sie 2021 am Casting für „Die Dreigroschenoper“ teil und wurde sofort als Lucy engagiert. Zurzeit kann man sie in fünf Produktionen sehen, im Sommer wird sie – mittlerweile fix im Josefstadt-Ensemble – bei den Festspielen Reichenau gastieren.

Foto: Victoria Nazarova

„Man bekommt eine gewisse Spielroutine und merkt schnell, wie wandelbar man sein sollte, denn mit jedem neuen Projekt ist ein anderes Genre verbunden. Man muss flexibel sein, den eigenen Stil erforschen und in das Geforderte inte­grieren“, erklärt sie die Vorzüge eines fixen Engagements. Ehrlicher Zusatz: „Ich würde es mir zum jetzigen Zeitpunkt aber auch noch nicht zutrauen, frei zu arbeiten.“

Debüt auf der Berlinale

Ein wenig anders verhielt es sich bei Paula Nocker. „Ich wurde sehr früh mit dem Beruf konfrontiert, schon meine Großmutter war Schauspielerin, und auch ich wollte als Kind Schauspielerin werden. Ehrlich gesagt, kannte ich gar nichts anderes.“ Mit acht Jahren ­spielte sie in Wolfgang Murnbergers Film „Lapis­lazuli“ eine Hauptrolle – ihren Vater stellte der spätere Oscarpreisträger Christoph Waltz dar – und wurde damit umgehend zur Berlinale eingeladen. „Meine Mutter war sprachlos“, erinnert sie sich amüsiert, „denn was ihr in vielen Jahren nicht gelungen war, habe ich mit meinem ersten Auftritt geschafft.“ Mama Maria Happel, von deren Humorgenen Tochter Paula wohl ein Übermaß ab­bekommen hat, durfte allerdings mit nach Berlin und hatte ebendort eine wichtige Funktion. „Ich habe auf ihrem Rücken Autogramme geschrieben.“ 

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Man muss den Ball gut annehmen und weiterspielen können. Wenn ihn der Nächste nicht fängt, ist er weg.

Paula Nocker

Nach der Matura wusste sie nicht so recht, was sie machen sollte. „Ich hatte sehr viel Respekt vor diesem Beruf und wollte weder enttäuschen noch enttäuscht werden. Sicherlich wollte ich mich auch dem Vergleich mit meinen Eltern nicht aussetzen.“ Erst studierte sie ein Semester lang Kultur- und Sozialanthropologie – „wahrscheinlich war es interessant, ich habe aber weder zugehört noch etwas gelernt und kann mich an nichts erinnern“ –, dann wechselte sie als Regiehospitantin am Berliner Ensemble die Perspektive, studierte kurz Film und verfiel allmählich in eine juvenile Sinnkrise. „Ich dachte, Paula, du wirst auch nicht jünger, und habe mich am Max Reinhardt Seminar beworben.“ Ihre Mutter, die Österreichs Ausbildungskaderschmiede für angehende Schauspieler*innen leitet, durfte ihre Leistung natürlich nicht bewerten. 

„Die erste Runde habe ich geschafft, in der zweiten bin ich rausgeflogen. Da war ich so gekränkt, dass ich nichts mehr mit dem Theater zu tun haben wollte.“ Paula Nocker begann durchaus ambitioniert und vielversprechend, Lehramt für Volksschule zu studieren, ehe sie von einem Casting für die Rolle der Lucy in „Die Dreigroschenoper“ an den Kammerspielen erfuhr. „Da saßen zwei Damen mit mir in der Warteschleife, die bereits eine Gesangsausbildung und eine Schauspielschule absolviert hatten. Ich hatte nichts von beidem und dachte, o Gott, das wird sicher wieder nichts.“ Doch es kam anders, sie wurde für die Rolle auserkoren, der ein zweites Stück und schließlich die Anfrage für eine feste Ensemblemitgliedschaft folgten. So ging eine engagierte Lehrerin flöten – „und Plan A hat sich doch noch erfüllt.“

Wellenreiten auf der Bühne

Der Bühnenreiz für Johanna Mahaffy ist, „das Hier und Jetzt in einer anderen Realität zu erleben und mit meiner Figur zu surfen. Ich war im letzten Sommer in Marokko, um tatsächlich surfen zu lernen, da gab es einen Lehrer, der uns beibrachte, dass wir keine Chance gegen die Gewalt des Wassers hätten, sondern dass wir die Kontrolle abgeben und mit der Welle reiten müssten.“ Ähnliche Erfahrungen habe sie auch auf der Bühne gemacht. 

„Es gibt einen Moment, in dem du einfach abschaltest, die Selbstkontrolle verlässt und dich fokussierst auf das, was zwischen dir und deinen Kolleg*innen gerade passiert, auf die Auseinandersetzungen, den Konflikt. Und das ist mit nichts vergleichbar, man wird regelrecht in eine Parallelwelt katapultiert.“ Dem Publikum dabei eine Inklusion zu ermöglichen sei ihr gesamtbildlich besonders wichtig. „Es existiert dieser lustige Vergleich, wonach man auf einer Bühne miteinander Sex haben oder sich einen runterholen kann. Auf der einen Seite gibt es Schauspieler, die sich selbst befriedigen, auf der anderen solche, die miteinander verkehren.“ Johanna Mahaffy folgt in dieser ausgefallenen Metapher eindeutig dem partnerschaftlichen Lustprinzip. Oder – das Publikum eingeschlos­sen – dem orgiastischen Grundsatz. 

Paula Nocker und Johanna Mahaffy
Die Absolventin des Max Reinhardt Seminars debütierte noch während der Ausbildung an der Josefstadt, brillierte u. a. in „Der König stirbt“, „Die Stadt der Blinden“ sowie „Der Wald“ und wurde bald ins Ensemble aufgenommen. Johanna Mahaffy spielte in TV- und Kinofilmen – zuletzt in „Corsage“ – und wird ab 24. April in „Herzliches Beileid“ im Theater in der Josefstadt zu erleben sein.

Foto: Victoria Nazarova

„Müsste ich Sport machen, wozu ich leider zu faul bin, wäre das ein Teamsport“, erklärt Paula Nocker den Reiz der Bühne aus ihrer Sicht. „Man muss den Ball gut annehmen und weiterspielen können. Wenn ihn der Nächste nicht fängt, ist er weg. Es ist ein schönes Gefühl, zusam­men etwas entstehen zu lassen, was dann hoffentlich gut ankommt.“ 

Andererseits wolle sie das Theater auch nicht dermaßen wichtig nehmen, dass sich am Ende alles nur noch darum dreht. „Ich habe vor kurzem eine Party gegeben, da waren viele Theaterleute, und es wurde kaum über etwas anderes als den Beruf geredet. Eingeladen war auch eine Freundin von mir, die als Ärztin arbeitet. Und als ich sie gefragt habe, wie es ihr gehe, hat sie erzählt, dass sie an diesem Tag ihre erste erfolgreiche Wiederbelebung durchgeführt habe. Das war wirklich beschämend, denn am Theater geht es nicht um Leben und Tod, sondern lediglich darum, zu berühren.“

Ganz schönes Pensum

Johanna Mahaffy probiert in der Regie von Dieter Dorn aktuell Georges Feydeaus Farce „Herzliches Beileid“, die gemeinsam mit Samuel Becketts absurdem Stück „Glückliche Tage“ am 27. April in der Josefstadt Premiere feiern wird. Die Hauptrollen spielen Anika Pages und Michael von Au, Johanna Mahaffy bringt als Haushälterin Annette mit schräger wienerischer Akzentuierung – in der deutschen Übersetzung ist es ein herrlich überdrehter fränkischer Dialekt – eine ebenso komische wie neutrale Ebene in das Chaos. 

Es gibt Schauspieler, die sich auf der Bühne ­selbst befriedigen, und solche, die miteinander verkehren.

Johanna Mahaffy

Kurz zur Handlung: Lucien und Yvonne, seit zwei Jahren verheiratet, streiten sich nach einem Künstlerfest, von dem er morgens nach Hause kommt. Die Schuldzuweisungen und Verletzungen nehmen eine tragikomische Wendung, als plötzlich Butler Joseph auftaucht und berichtet, dass Yvonnes Mutter verstorben sei. Am Ende stellt sich das aber als Irrtum heraus, Joseph hat sich in der Tür geirrt. „Annette sorgt durch ihre Tollpatschigkeit und ihren eigenen Humor für eine gewisse Dynamik im Geschehen“ – so viel kann Johanna Mahaffy schon verraten. Auch, dass man sie im Sommer bei den Raimundspielen Gutenstein in der Uraufführung von Peter Turrinis „Es muss geschieden sein“ erleben können wird, darf bereits kommuniziert werden. 

Mit Paula Nocker stand sie übrigens im letzten Jahr erstmals gemeinsam bei den Festspielen Reichenau in „Die Möwe“ auf der Bühne, an der Josefstadt inter­essanterweise noch nie. Und in Reichenau wird Paula Nocker auch heuer wieder ihren Sommer verbringen – sie spielt die Hosenrolle des Christopherls in „Einen Jux will er sich machen“ und freut sich auf Nestroy-Spezialist Robert Meyer als Regisseur. 

Daneben warten in der nächsten Spielzeit vier Wiederaufnahmen und ebenso viele Premieren im Theater in der Josefstadt auf sie. Wie schafft man ein solches Pensum? „Ich bin jung, ich habe Bock. Wann, wenn nicht jetzt?“, antwortet sie im Stakkato. „Ich bin schließlich an diesem Haus, um zu spielen. Herausforderungen sind großartig, mit jeder Inszenierung erfährt man Neues.“ 

Paula Nocker und Johanna Mahaffy
Alte Klassiker und ein liberales Weltbild schließen einander nicht aus: Man muss nur eine neue Perspektive einnehmen. So wie Johanna Mahaffy und Paula Nocker die Samtgänge der Josefstadt ideal ergänzen.

Foto: Victoria Nazarova

Aktuelle Konflikte

Dass die Jugend nicht immer ein süßer Vogel ist, unterstreicht ein Blick in die Zeitung. Klimaaktivismus, Gender­debatten, Ukrainekrieg, Gesundheitskrise und #MeToo-Skandale beherrschen die Schlagzeilen. Die Frage liegt also nahe: Begreifen Sie sich als politisch? 

„Theater muss unbedingt gesellschaftskritisch sein“, sagt Paula Nocker. „Und ge­­sellschaftspolitisch“, ergänzt Johanna Ma­haffy. „Es gibt so viele Thematiken, die gerade brennen und auch in den Stücken relevant werden. Es ist sehr schwierig, keine Meinung zu haben.“ In Klassikern gehe es darum, sie heutigen Denkstrukturen und Leseperspektiven anzugleichen, sie ins Heute zu holen, ohne sie völlig zu dekonstruieren. „Dann ist es auch nicht mehr wichtig, ob ein Mann eine Frau spielt oder umgekehrt, dann spielen wir einfach alle Menschen.“ 

Neue Leseperspektiven sorgen ihrer Meinung nach übrigens auch dafür, dass es für junge Schauspielerinnen heute genügend Rollen gebe. Da muss Paula Nocker ihrer Kollegin nun ausnahmsweise widersprechen: „Ich hätte gesagt, es gibt nie genug!“

Zu allen Spielterminen des Theaters in der Josefstadt und der Kammerspiele