Sisi ist Sisi ist nicht Sissi
In „Ach, Sisi – Neunundneunzig Szenen“ entwirft Regisseur Rainald Grebe ein Theater-Universum, bei dem sich alles um Kaiserin Sisi dreht. Volkstheater-Ensemblemitglied Christoph Schüchner beschreibt die tragische Kaiserin auch als Grenzgängerin.
„Eine sehr diffuse, merkwürdige Vorstellung von einer Ermordung mit einer Feile“, kam Schauspieler Christoph Schüchner als Allererstes in den Sinn, wenn er vor den Proben für das Stück „Ach, Sisi – Neunundneunzig Szenen“ an Kaiserin Sisi dachte. Und natürlich: Romy Schneider. Mit der Arbeit an „Ach, Sisi“ öffnete sich der Blick auf einen vielschichtigen Kosmos, den Regisseur Rainald Grebe gemeinsam mit seinem Ensemble rund um Sisi entworfen hat.
Und in dessen Zentrum – man kann es sich schon denken – hat die tragische Kaiserin ihren fixen Platz. Kurzum: Alles dreht sich um Sisi – also um eine Frau, die, wie Christoph Schüchner im Interview erzählt, „letztlich doch sehr um sich selbst kreiste“. Ein Stück wie ein Planetensystem.
Ich bin jetzt nicht schockverliebt wie Franz Joseph.
Christoph Schüchner
Die Kaiserin als Extremsportlerin
„Ich bin jetzt nicht schockverliebt wie Franz Joseph“, antwortet der in Oberösterreich aufgewachsene Schauspieler auf die Frage, ob Sisi ihm durch die Arbeit an dem Stück ans Herz gewachsen oder unsympathisch geworden sei. Er fügt hinzu: „Es fasziniert mich eher, wie mutig, eigenwillig und fortschrittlich sie war. Ich mag ihre Exzentrik, aber ihre Egomanie geht einem manchmal schon auch ordentlich auf die Nerven.“ Gleichzeitig berührt ihn die Tragik ihrer ganzen Lebensgeschichte mit all den Schicksalsschlägen und gesellschaftlichen Zwängen. Als „sehr exaltiert“ bezeichnet auch Katrin Unterreiner, Kuratorin des 2004 eröffneten Sisi Museums, das Verhalten der fast schon mythisch aufgeladenen Herrscherin.
Besonders spannend fand Christoph Schüchner auch jene Teile ihres Lebens, die weniger oft als viele andere in Filmen, Dokumentationen und Schneekugeln dargestellt werden – jene nämlich, die er als „lebensgefährlich“ bezeichnet. „Sie war eine der besten Reiterinnen ihrer Zeit, ritt halsbrecherische Parforcejagden, hatte in allen Residenzen Turnräume mit Sportgeräten eingerichtet, unternahm oft stundenlange Berg- und Wandertouren in einem Tempo, wo kaum jemand mitkam“, so der Schauspieler. Eine Aussage, die nahelegt, dass es im Universum von „Ach, Sisi“ auch um die Kaiserin als Grenzgängerin gehen wird. Christoph Schüchner erwähnt auch ihre „fast wahnhafte Verehrung von Heinrich Heine“ wie auch den Umstand, dass die österreichische Kaiserin die Aristokratie eigentlich verachtete und im Herzen Republikanerin war.
Auf die Frage, welche Rolle Klischees in Zusammenhang mit Österreich und seiner Geschichte spielen, antwortet er doppeldeutig: „Eine hintergründige … Aber natürlich spielen Klischees immer eine Rolle.“
„Am besten ist es ohnehin“, davon ist der Schauspieler überzeugt, „man löst sich von Erwartungen – nicht nur am Theater. Man braucht kein Vorwissen. Einfach den Mantel anziehen und kommen. Hauptsache kommen!“
Schaufelraddampfer „Gisela“
Die Idee, Sisi aus verschiedenen Blickwinkeln auf die Bühne des Volkstheaters zu bringen, stammt ursprünglich von Kay Voges, der Rainald Grebe bereits in Dortmund engagiert hatte. „Mach doch mal was über Sisi“, lautete der Auftrag des Volkstheater-Direktors, den Rainald Grebe gerne angenommen hat und der mit einer intensive Suche begann, die, wie der Regisseur erzählt, zunächst von großer Ahnungslosigkeit geprägt war.
Auch Christoph Schüchner hatte vor der Produktion nicht viele Berührungspunkte mit Kaiserin Sisi. An einen erinnert er sich trotzdem: „Ich bin in Oberösterreich in der Nähe von Gmunden aufgewachsen. ‚Gisela‘, ein historischer Schaufelraddampfer von 1871, mit dem Franz Joseph noch selbst die Donau bereiste und der in meiner Kindheit auf dem Traunsee rumschipperte, ist nach der zweiten Tochter von Sisi benannt. Als Kind war das ein Abenteuer, damit zu fahren.“
Ich mag den Gedanken, hier am Volkstheater ein Ensembletheater entstehen zu lassen, ein starkes Team aufzubauen
Christoph Schüchner
Rückkehr nach Wien
Als „verrückt“ beschreibt der Schauspieler, der schon an vielen deutschen Bühnen zu sehen war und die letzten 18 Jahre in Berlin gelebt hat, seine Rückkehr ans Wiener Volkstheater.
„Zunächst mal habe ich mich unglaublich darauf gefreut, bei einem wirklichen Neuanfang, gerade an diesem Haus, mit dabei zu sein. Und nach fast dreißig Jahren im Ausland an jenes Theater zurückzukommen, wo ich meine ersten Schritte auf der Bühne gemacht habe – um dann aber mitten im Lockdown anzukommen mit einem Riesenkoffer und zwei vorgeschickten Umzugskisten und die ersten Monate erst mal gar keine Schritte auf der Bühne machen zu können. In einem Wien, das ich nichtwiederentdecken konnte, weil alles zu war.“
Nach dieser herausfordernden Anfangszeit überwiegt bei Christoph Schüchner jedoch die Freude darüber, Teil des Volkstheater-Ensembles zu sein. „Ich mag den Gedanken, hier am Volkstheater ein Ensembletheater entstehen zu lassen, ein starkes Team aufzubauen“, bringt der Schauspieler seine Gedanken auf den Punkt. Wie dieser Weg aussehen könnte, wurde in „Die Politiker“, dem Eröffnungsstück der aktuellen Spielzeit, schon gut sichtbar.
Auch Christoph Schüchner steht in diesem von Kay Voges inszenierten Theatergedicht von Wolfram Lotz auf der Bühne. „Lauten, exzessiven Ensembleschlachten“ kann der Schauspieler genauso viel abgewinnen wie Kammerspielen mit wenigen Schauspieler*innen, „wo man eine Stecknadel fallen hören kann“. Und um mit Wolfram Lotz zu sprechen, fügt er abschließend hinzu: „Und dazwischen ist DINGS.“ Und, so Schüchner, „noch viel mehr“. Ein ganzes Sisi-Universum zum Beispiel.
Zur Person: Christoph Schüchner
Studierte Schauspiel in Wien und war schon während seiner Ausbildung in kleineren Rollen am Wiener Volkstheater zu sehen. Es folgten weitere Fest- und Gastengagements in Deutschland, unter anderem am Theater Bonn und am Staatstheater Kassel. Seit der Spielzeit 2020/21 ist Christoph Schüchner Teil des Volkstheaters.