8 Fragen an Diana Damrau
Nach ihrem triumphalen Rollendebüt in Zürich singt Diana Damrau jetzt Donizettis „Anna Bolena“ in Wien. Eine der schönsten Stimmen der Welt im Gespräch über Auszeiten, Rollendebüts und schräge Regiearbeiten.
Meine Stimme ist mein Pferd"
Diana Damrau
1. Wie geht es Ihnen derzeit so mit Omikron, den Lockdowns, der Welt?
Ich habe eine große Dankbarkeit in mir, jeden Tag zu erleben. Wissen Sie, ich ge- höre zu jenen Menschen, die hoffen, dass wir durch diese Covid-Notbremse lernen, Dinge in Zukunft mit mehr Tiefe anzugehen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich vor der Pandemie an dem Punkt an- gekommen war, an dem ich mir überlegt habe, ein Sabbatical einzulegen. Ich war fertig, ich war müde. Das Leben ist doch viel schöner, wenn wir uns Zeit nehmen und nicht nur aneinander vorbeihetzen.
2. Ist das nicht eine etwas romantisierte Hoffnung, die darauf beruht, dass der Mensch lernfähig ist und nicht sofort bei der nächsten Gelegenheit in die alten Muster zurückkehrt?
Ich für mich sehe jeden Auftritt als etwas Besonderes an, ich versuche, tiefer ins Gefühl und in die Rolle reinzugehen und sie mit Dankbarkeit und Freude zu verkörpern. Und ich schätze es, danach darauf zurückzuschauen und mich zu fragen: War das schön? Kann man da was besser machen? Oder auch einfach nur: Wow, das war wunderbar. Und nicht: Jetzt kommt das Nächste und das Nächste und das Nächste. Wissen Sie, ich empfinde es als Privileg, dass wir all diese großartigen Werke singen dürfen, dass wir Menschen berühren dürfen. Dass wir die Musik, die für uns alle ein Heilmittel ist, weitergeben dürfen. Und jetzt sage ich es noch einmal: Dafür bin ich wahnsinnig dankbar, dass ich das machen darf, dass ich diesen Beruf lernen durfte und Menschen weiterhin Freude bereiten kann.
3. Das klingt, als wären Sie mit sich selbst zufriedener als früher?
Damrau lacht herzlich auf.) Ja, ich musste lernen, mit mir selbst gnädiger zu sein.
4. Und? Waren Sie erfolgreich damit?
Na ja, geht so. Es ist schwierig. Ja und nein. Ich hatte mehr Zeit für mich, um auch an mir weiterzuarbeiten.
Zur Person: Diana Damrau
Mit ihrem Rollendebüt als Anna Bolena ist die gebürtige Schwäbin ins Zentrum des tragischen Belcanto vor- gedrungen, das Herrschaftsgebiet der großen Diven wie Callas, Gruberová, Suther- land und Co. Damrau ist
mit dem französischen Bass Nicolas Testé verheiratet und hat zwei Söhne.
5. Es ist schön, dass man sich mit Ihnen so wunderbar verplaudern kann. Sie gaben Ihr Rollendebüt der Anna Bolena jetzt gerade in Zürich und haben dafür hymnische Kritiken bekommen. Warum haben Sie die Rolle eigentlich zuerst in der Schweiz gesungen und nicht in Wien?
Ich wollte zuerst in einer Neuproduktion singen, um wirklich Zeit zu haben, in diese Rolle einzusteigen. Ich hatte hier in Zürich jetzt einige Vorstellungen, und – toi, toi, toi – sie haben alle stattgefunden. Bei jedem Auftritt entdecke ich eine neue Farbe, ich sehe einen neuen Subtext, ich entdecke neue Spannungssituationen zwischen mir und den Kollegen, die auch meinen Zugang zu der Rolle verändern. Schön ist, dass hier in Zürich das Orchester und auch der Dirigent so wach sind, dass sie sehr auf uns und mich aufpassen und das mitverfolgen. Es ist ein wenig wie ein Krimi. (Sie lacht, und es tut gut, ihre Fröhlichkeit zu hören.)
6. Wie strategisch gehen Sie eigentlich bei der Auswahl Ihrer Rollen und vor allem Ihrer Rollendebüts vor?
Natürlich könnte man alles strategisch planen, wenn man wüsste, dass sich die Stimme nicht groß verändert und man weiß: Das ist es, das wird es bleiben und das will ich mir erhalten. Als Sängerin musst du herausfinden, wie und warum sich deine Stimme wohin entwickelt. Manchmal glaubt man, dass eine große Veränderung ansteht, aber dann ist sie doch keine. Ich bin in den letzten Jahren durch so eine Phase gegangen. Meine Stimme ist wie ein Pferd. Sie reagiert direkt auf das, was ich mir gerade denke. Das Pferd verweigert, wenn ich Angst vor einem Hindernis habe; es reicht schon, nur die Luft anzuhalten. Meine Stimme ist mein Partner. Ich muss auf sie achtgeben. Meine Stimme darf ich, wie ein Pferd, zu nichts zwingen. Mittlerweile weiß ich recht genau, wie mein Pferd aussieht und was ich tun muss, damit es tut, was ich möchte. (Diana Damrau lacht einmal mehr herzlich los.)
7. Übrigens, was ich Sie immer schon fragen wollte: Stimmt es, dass Sie einmal zu spät zu Ihrer eigenen Premiere gekommen sind?
(Diana Damrau schaut verblüfft und prustet los.) Woher wissen Sie das? Es war in Mailand, und im Publikum saß sogar der italienische Präsident. Ich hab ihn in der Pause begrüßt, und irgendwie habe ich in dem ganzen Trubel die Übersicht und auch das Zeitgefühl verloren, und in meiner Garderobe war der Durchruf kaputt, und mein Zimmer war noch dazu ein Stockwerk über der Bühne. Dazu kam auch noch, dass die Vorstellung im Fernsehen übertragen wurde. Ich habe darauf vertraut, dass mich jemand vom TV holen kommt. Aber da kam niemand, und als man mich doch noch holte, war die Szene in vollem Gange. Es tat mir wahnsinnig leid. Aber wir haben das Ruder rumgerissen.
8. Was war das Verrückteste, was Sie je auf einer Bühne tun mussten?
Die Doris-Dörrie-Inszenierung von „Rigoletto“ in München war sicher ein Höhepunkt. Die Geschichte mit dem Affen, mit dem ich eine Familie gründen sollte. (Sie lacht.) Und auch „Die Entführung aus dem Serail“ in Salzburg, als schon während wir sangen das Publikum zu buhen und untereinander zu streiten begann. Im Übrigen alles Inszenierungen, die später – also viel später – Kult wurden. ( Jawohl, sie tut es wieder. Ein Abschlusslachen.)