Boris Eder: Im Dienste des #Metoo-Regenten
„Nach oben buckeln, nach unten treten.“ So sieht der Vielfachbegabte seine Rolle in „La Périchole“ am MusikTheater an der Wien. Graf Panatellas ist dabei vor allem eines: Gnadenlos komisch.
Wann immer ein singender Schauspieler gefragt ist, kommt er in die engere Auswahl. Boris Eder zählt eigenen Angaben nach „zu einer aussterbenden Gattung“, womit er meint, dass es für Darsteller mit Mehrfachtalent im deutschsprachigen Raum nach wie vor schwierig ist, sich zu behaupten. Denn während man paradoxerweise im angloamerikanischen Business immer mehr fordert und Gesang, Tanz & Schauspiel ein gepriesenes Triumvirat bilden, bekräftigt man in unseren Breitengraden nach wie vor das künstlerische Schubladendenken.
Nikolaus Habjan, selbst als Regisseur, Puppenspieler, Kunstpfeifer und Schauspieler ein Allrounder auf höchstem Niveau, tut das dezidiert nicht und besetzte Boris Eder für seine Inszenierung von „La Périchole“ am MusikTheater an der Wien. In Jacques Offenbachs von Peru nach Wien transferierter opéra-bouffe trachtet ein lüsterner Vizekönig danach, möglichst viele Mätressen in seinen erotischen Einflussbereich zu bringen. Dafür zweckentfremdet er gerne engste Mitarbeiter, wie den von Boris Eder gespielten Grafen Panatellas, die den Auftrag haben, stets nach schönen Frauen aus dem Volk Ausschau zu halten, um sie dem Vizekönig zuzuführen.
Als Don Andrés de Ribeira, so heißt der Regent, die bettelarme Straßensängerin Périchole ins Auge sticht – und er sie bei Hofe in seiner Nähe wissen will –, vereitelt diesen Wunsch allerdings das offizielle Zeremoniell, das nur verheirateten Personen Palastwürden zubilligt. Von wegen Anstand und Außenwirkung. Périchole träumt indes davon, sich endlich einmal sattessen zu können und willigt in den Handel ein. Die Hofschranzen suchen also verzweifelt einen passenden Ehemann und werden im betrunkenen Piquillo, ohnehin schon seit Längerem der Liebhaber von Périchole, fündig. Nun nimmt die, wie immer bei Offenbach durchaus gesellschaftskritische und obrigkeitsverhöhnende, Geschichte volle Fahrt auf.
Politisch korrekte Verlogenheit
Graf Panatellas, eine Art Zuhälter von Amts wegen, kocht selbstverständlich auch sein eigenes Süppchen. „Er ist der Haushofmeister, der erste Kammerherr des Vizekönigs, und muss alles abfedern, ausbügeln, wieder gut machen. Gleichzeitig gefällt ihm seine bescheidene Macht, nach oben buckeln und nach unten treten – mit diesem System ist er bestens vertraut. Seine Aufgabe besteht darin, den Vizekönig mit Mätressen zu versorgen, ihn aber auch im Zaum zu halten, denn die Staatsräson muss politisch korrekt eingehalten werden, damit die Regularien weiterhin funktionieren. Es darf nicht drunter und drüber gehen, sondern die Mätresse muss verheiratet sein, um im Palast wohnen zu können.“
Sympathisch sei Graf Panatellas zum Glück nicht. „Dann wäre er ja langweilig. Er ist ein Fähnchen im Wind, stets auf den eigenen Vorteil erpicht, aber mit bescheidenen Wirkungsmöglichkeiten ausgestattet. Sobald der Vizekönig den Daumen senkt, ist es vorbei mit dem guten Leben. Also ist es für ihn wichtig, situationselastisch zu bleiben und sich der jeweiligen Raumtemperatur anzupassen.“ Wenn Boris Eder gemeinsam mit Gerhard Ernst – der den mit ihm im selben kenteranfälligen Boot sitzenden Don Pedro spielt – an Nestroy gemahnende Couplets mit politischem Gegenwartsbezug singt, wird es sehr böse. Und sehr lustig. Hierbei hält es Boris Eder mit Laurel & Hardy, deren Definition von Komik lautete: „Ein Mann mit einem Problem.“ Und an einem Mangel an Schwierigkeiten leidet die Figur des Grafen Panatellas nun wirklich nicht.
Wie im Zuckerlgeschäft
Boris Eder scheiterte nach einem Jahr am Max-Reinhardt-Seminar, besuchte Schauspiel- und Musicalkurse bei Susi Nicoletti, nahm Gesangsunterricht bei Carol Blaickner-Mayo und debütierte 1990 im Stadttheater Chur als Piccolo im „Weißen Rössl“. 1991 wurde er zu den Salzburger Festspielen eingeladen und ans Wiener Burgtheater engagiert. Danach trat er u.a. bei den Festspielen in Reichenau auf und spielte in der Saison 1999/2000 Emanuel Schikaneder in der Uraufführung des Musicals „Mozart“ im Theater an der Wien. Von 1996 bis 2006 war er Ensemblemitglied im Theater in der Josefstadt, von 2012 bis 2020 gehörte er zum engsten Kern der Volksoper. Aktuell arbeitet er als freier Schauspieler.
„Das Spannende daran ist, dass man in Konstellationen zusammenkommt, die sich in einem Repertoirehaus kaum ergeben. Die Möglichkeit, mit dem Regisseur Nikolaus Habjan, dem musikalischen Leiter Jordan de Souza, dem Bühnenbildner Julius Theodor Semmelmann oder dem Kostümbildner Cedric Mpaka zu kooperieren, ist nicht häufig gegeben, oder sie findet gar nicht statt. Es ist ein bisschen so, als würde man im Zuckerlgeschäft stehen und ein Sackerl mit der perfekten Mischung ausgehändigt bekommen.“
Nikolaus Habjan sei ein „vielfach begabter junger Regisseur, der angstfrei arbeitet, der sein Ensemble schätzt, der sich am Ende einer Probe bedankt und es auch so meint. Man muss ihm Rosen streuen, ich denke, ihm steht alles offen.“ Die Operette, so der Genrekundige, sei, trotz aller Skepsis, die ihr entgegengebracht werde, die Königsdisziplin. „Sie ist die Quadratur des Kreises, bei der man von drei Begabungen zumindest zwei haben muss. Es gibt Operettendarsteller, die sehr gut singen und spielen und dadurch etwaige Bewegungsmängel wettmachen können. Oder andere, die weniger gut singen, dafür hervorragend spielen und einwandfrei tanzen. Man wächst auch an den Herausforderungen, die einem gestellt werden, in jedem Fall geht es um ein Gesamtpaket.“
Inneres Thermometer
Hat Boris Eder dennoch eine Präferenz, was die Form betrifft? „Je älter ich werde, desto mehr ist entscheidend, ob ich dem, was mir angeboten wird, gewachsen bin. Kann ich es gut genug oder könnten es andere besser? Werde ich der Sache gerecht, mir selbst gerecht, den Menschen gerecht, die mich engagiert haben? Mein inneres Thermometer wird immer wichtiger.“
Ihm sei es auch ein großes Anliegen, sich um seine drei Kinder, die 14, 12 und 10 Jahre alt sind, zu kümmern. „Ich möchte nicht, dass sie eines Tages sagen, dass ich nie dagewesen sei, weil ich zwei Rollen mehr habe spielen wollen. Familie und Beruf müssen zusammen einen Sinn ergeben.“ Wäre er nicht Schauspieler geworden, hätte er Germanistik und Kunstgeschichte studiert.
Neben seinen Theaterauftritten verwirklicht er eigene Programme. Hermann Leopoldi und Alexander Girardi haben es ihm angetan. Und Max Hansen. Im letzten Jahr brachte er das Solo „War’n Sie schon mal in mich verliebt?“ heraus, das dem Berliner Operettenstar der 1920er Jahre gewidmet ist. Am 4. März gastiert er damit im Theater Akzent. „Max Hansen war gewissermaßen ein role model. Er war Sänger, Schauspieler, Kleinkünstler, Werbesprecher, Operettenstar, einer, der alles konnte und alles gemacht hat. Rückblickend hatte er für mich auch deshalb eine große Bedeutung, weil er der Uraufführungs-Leopold von ‚Im weißen Rössl‘ war, den ich selbst sehr oft gespielt habe, und in der Uraufführung von ‚Gräfin Mariza‘ war er der Baron Zsupán, den ich ebenfalls mehrfach dargestellt habe. Die Faszination dieser Zeit und die Möglichkeit der Vielfalt eines Künstlers haben mich begeistert.“
Das Leben Max Hansens verlief übrigens weniger glamourös. Er, Sohn einer Dänin und eines ungarischen Juden, floh früh vor den Nazis, machte in Skandinavien eine zweite Karriere, ließ sich von einem verarmten Adeligen adoptieren, um als „arisch“ zu gelten, und starb 1961 mit 63 Jahren nach einem Schlaganfall in Kopenhagen. „Ich glaube, er war ausgebrannt. Er ist frühzeitig gealtert und hat bis zuletzt, stark geschminkt, den Bonvivant gegeben. Aber trotzdem hatte er als Künstler alles, was man braucht.“