Rhythmus ist alles
Mit dem „Raub der Sabinerinnen“ inszeniert Anita Vulesica ein Stück, das eine riesengroße Liebeserklärung an das Theater und der allerschlimmste Albtraum aller Theaterschaffenden zugleich ist. Wie das geht? Mit viel Humor und „R ’n’ B“.
Anita Vulesica ist Schauspielerin und Regisseurin. Wer nun sofort Goethes Faust unter der Last der verdammten zwei Seelen in seiner Brust zusammenbrechen sieht oder plötzlich dramatische Szenen innerer Zerrissenheit vor Augen hat, liegt damit absolut falsch. Die in Zadar, Kroatien, und in Berlin aufgewachsene Künstlerin ist davon überzeugt, dass man nicht nur für eine Sache brennen kann, obwohl das vor allem Frauen häufig abverlangt wird.
Wer die Chance hat, sich mit Anita Vulesica zu unterhalten, wird zudem schnell feststellen, dass sie gesellschaftlichen Normen und Kategorisierungsversuchen ohnehin nicht allzu viel abgewinnen kann. Glaubt man dem T-Shirt, das sie bei unserem Treffen im Akademietheater trägt, könnte sie sogar John, Paul, George und Ringo auf einmal sein. Das dafür notwendige Energiepotenzial brächte sie auf jeden Fall mit.
Regie als Befreiung
In Österreich trat Anita Vulesica in den vergangenen Jahren vor allem als erfolgreiche Regisseurin in Erscheinung. Ihre Grazer Inszenierungen „dritte republik (eine vermessung)“ und „Garland“ wurden mit Nestroy-Preisen bedacht. Im Akademietheater läuft ihre Inszenierung der Finanzamts-Komödie „Der Fiskus“ erfolgreich im Repertoire.
Bevor es für ihre Regiearbeiten Preise zu regnen begann, war Vulesica Ensemblemitglied an großen deutschen Schauspielhäusern wie dem Deutschen Theater Berlin, dem Schauspiel Leipzig und dem Schauspiel Frankfurt. Den Schritt in die Regie empfand sie trotz großer Liebe zum Schauspiel als Befreiungsschlag. „Ich habe gespürt, dass das Korsett, in das ich als festangestellte Schauspielerin geraten war, immer enger und enger wurde. Ich war so vielen Dingen ausgesetzt, die ich selbst nicht kontrollieren konnte, und mir wurde immer klarer, wie schwer es in diesem Betrieb sein kann, sich als Frau mit eigenen kreativen Ideen Gehör zu verschaffen.“
Sich von diesen Zuschreibungen zu lösen ermöglichte es ihr, ihrer kreativen Energie endlich freien Lauf zu lassen – denn davon hat Anita Vulesica reichlich im Gepäck. Auf jeden Fall, um sie auch noch schauspielerisch einzusetzen – zuletzt drehte sie den Spielfilm „Buba“ mit Bjarne Mädel.
Ob sie auch als Regisseurin arbeiten wollte, um die Beziehung zwischen den Spieler*innen und der Regie neu zu denken? „Auf jeden Fall“, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen. „Ich habe immer gesagt, dass ich gerne die Regisseurin sein möchte, die ich so nie hatte. Ich bin davon überzeugt, dass Führung auch ohne Machtmissbrauch, Angst und Druck möglich ist.“
Geöltes Handwerk
Sich all dieser Dinge bewusst zu sein und sie dann auch noch in beachtlicher Denk- und Sprechgeschwindigkeit in Sätze verpacken zu können, die vor Dringlichkeit nur so strotzen, bedeutet jedoch nicht, dass Anita Vulesica völlig frei von Selbstzweifeln zu den Proben radelt. „Erst vor kurzem habe ich den Begriff ‚Impostor-Syndrom‘ von meiner Tochter gelernt“, erzählt sie lachend. Nach einer kurzen Pause setzt sie mit etwas tieferer Stimme nach: „Aber es gibt zumindest eine schöne Sache am Älterwerden: Die Stimme im Kopf, die einem sagt, dass man die Dinge, die man kann, wirklich kann, wird immer lauter. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht trotzdem scheitern können.“
Ums Scheitern geht es auch in „Der Raub der Sabinerinnen“, jener Komödie, an der Anita Vulesica mit den Spieler*innen gerade arbeitet. „Es ist ein Stück über den allerschlimmsten Albtraum aller Theaterschaffenden – dass eine Inszenierung nicht gelingt.“ Gleichzeitig ist es aber auch eine große Liebeserklärung an das Theater, fügt sie hinzu. Darüber hinaus hat sie der Titel des 1884 uraufgeführten Schwanks nicht mehr losgelassen. „Der Stücktitel beruht auf einem antiken Mythos und impliziert Gewalt an Frauen. Deshalb geht er für mich eigentlich gar nicht. Dennoch haben wir es bei diesem Stück mit einer Komödie zu tun. Diese Reibung fand ich spannend. Ich glaube, dass wir das über Cross-Besetzungen und die Tatsache, dass sich unsere Sabinerinnen etwas zurückrauben, gut lösen werden.“
Zur Person: Anita Vulesica
studierte Schauspiel an der Hochschule Ernst Busch in Berlin. Es folgten zahlreiche Engagements an renommierten deutschen Häusern, bevor Anita Vulesica auch selbst zu inszenieren begann. Sie ist zweifache NESTROY-Preisträgerin und als Schauspielerin auch in Film- und TV-Produktionen zu sehen.
In den Proben treibt Vulesica und ihr Team derzeit vor allem eines um: das Handwerk der Komödie. „Das ist ein Text, der nach einem geölten Handwerk schreit“, fasst sie mit einem Enthusiasmus zusammen, der bereits erahnen lässt, wie gut die Föhnfrisuren im Publikum am Ende des Abends noch sitzen werden. „Virtuoses Spiel, Geschwindigkeit und Genauigkeit stehen bei so einem Stück über allem. ‚R ’n’ B‘, wie ich immer sage – Rhythmus und Bräzision.“ Wenn Anita Vulesica an einer Inszenierung zu arbeiten beginnt, macht sie sich außerdem immer auf die Suche nach dem richtigen Sound, wobei sie damit nicht nur die Musik meint. „Ich träume von Theatersälen, in denen die Zuschauer*innen BHs und Teddybären auf die Bühne werfen, weil es plötzlich nicht mehr um intellektuelles Begreifen geht, sondern um einen Rhythmus, dem man sich nicht entziehen kann. Das heißt aber nicht, dass nicht auch anderes Theater stattfinden darf und soll“, ergänzt sie, bevor sich unsere Wege wieder trennen.
Can’t buy me love? Vermutlich nicht. Wer eine große Portion Theaterliebe erwerben möchte, kann das aber an der Abendkasse des Akademietheaters ganz einfach tun.