Der talentierte Herr Struppeck
Seit elf Jahren Musical-Intendant, ist Christian Struppeck engagierter Motivator, dynamischer Manager und kreatives Mastermind eines prosperierenden Entertainmentkonzerns. Im Herbst 2023 setzt der Emotionsexperte mit „Rock Me Amadeus – Das Falco-Musical“ Österreichs einzigem Weltstar ein Bühnendenkmal.
„Von großen Träumen.“ So würde Christian Struppeck auf insistierende Nachfrage ein Musical betiteln, das sein eigenes Leben als Blaupause hätte. „Ich glaube aber nicht, dass ein solches Stück je das Licht einer Bühne erblicken wird. Wer sollte sich das anschauen wollen?“, amüsiert sich der Musical-Intendant der Vereinigten Bühnen Wien beim Interview in seinem Ronacher-Büro. „Aber große Träume hatte ich tatsächlich schon immer. Wenn man eine Produktion realisieren will, benötigt man diese Visionen auch, denn der Weg dorthin ist manchmal ein steiniger, bei dem man auch die Lust verlieren könnte. So bin ich aber nicht. Und diese Power braucht man in dem Job.“
Siebzehn Großproduktionen und fast dreißig Konzerte respektive Galaveranstaltungen verdankt Wien seiner hartnäckig positiven Grundeinstellung. Schon als Kind konzipierte er Zirkusshows, „die sich meine armen Eltern anschauen mussten“, und konnte nicht verstehen, warum ihm der zuständige Verlag nicht das Recht einräumte, „My Fair Lady“ aufführen zu dürfen. Er schrieb an Disney, weil er „Mary Poppins“ inszenieren wollte, und schaffte es, in eine Musicalschule aufgenommen zu werden, obwohl er das vorgesehene Mindestalter längst noch nicht erreicht hatte.
Es ist eine Sache, eine gute Premiere hinzulegen, aber dass es nach der hundertsten Vorstellung noch die gleich hohe Qualität hat, ist genauso wichtig und eine hohe Kunst.
Christian Struppeck über die Disziplin der künstlerischen Langstrecke
Sprung ins kalte Wasser
Eine echte Alternative zum Musiktheater hätte es für ihn also wohl nicht gegeben. Erst zog es ihn als Darsteller auf die Bühne, schnell machte er sich aber auch als kreativer Stückentwickler, Regisseur, Bühnenautor und Produzent einen klingenden Namen. Er brachte es zum Künstlerischen Direktor und Leiter der Kreativabteilung des Musical-Dampfers Stage Entertainment Deutschland, ehe ihn der Ruf aus Wien ereilte.
Da seine Vorgängerin im Amt bekanntlich zeitnah zum Fernsehen zurückkehrte, hatte Christian Struppeck nicht, wie in der Branche üblich, zwei bis drei Jahre Vorbereitungszeit, sondern musste praktisch am nächsten Montag anfangen. Diese Chuzpe überrascht ihn heute selber. „Vieles war Learning by Doing, zum Glück gab es ein eingespieltes Team, das mich an der Hand genommen hat.“
Das überzeugende Konzept, große internationale Shows nach Wien zu holen und eigene Produktionen zu entwickeln, ist aufgegangen. Gemeinsam mit Oscarpreisträger Stephen Schwartz schrieb und entwickelte er das Musical „Schikaneder“, das 2016 im Raimund Theater in der Inszenierung von Regielegende Trevor Nunn uraufgeführt wurde. 2017 folgte aus seiner und Titus Hoffmanns Feder „I Am From Austria“ mit Songs von Rainhard Fendrich, das sich zum überwältigenden Publikumserfolg entwickelte. Mit „Cats“ und „Miss Saigon“ brachte Christian Struppeck während und nach der Pandemie zwei Welthits auf die VBW-Bühnen.
In dieser Spielzeit laufen „Rebecca“ – auch dies eine Eigenproduktion, die in der zweiten Serie in Wien zu erleben ist – und „Der Glöckner von Notre Dame“ mit erfreulichem Besucherzuspruch im Raimund Theater und im Ronacher.
Ehrgeiz und Esprit
„Ich bin mit beiden Stücken sehr zufrieden. Wir haben das Glück, immer mit hervorragenden Darsteller*innen arbeiten zu können, weil sie unsere Professionalität schätzen und sich gerne in Wien aufhalten. Das ist nicht selbstverständlich, bei anderen Produktionen muss man mit 30 Prozent Absagen rechnen. Bei uns ist das nicht so, deshalb haben wir in beiden Shows erstklassige Besetzungen“, nennt Christian Struppeck einen der vielen Faktoren, die über Fortüne oder Fiasko entscheiden. „Es ist eine Sache, eine gute Premiere hinzulegen, aber dass es nach der hundertsten Vorstellung noch die gleich hohe Qualität hat, ist genauso wichtig und eine hohe Kunst. Ich bin stolz, dass alle Teams in unseren Häusern diesen Ehrgeiz haben.“
Eine Kernaufgabe der Intendanz ist natürlich die Programmierung. Für die braucht man einen langen Atem und mitunter zähes Verhandlungsgeschick, kann es von der Idee bis zur Realisierung bei Uraufführungen schon einmal vier bis fünf Jahre und bei Lizenzproduktionen an die zwei Jahre dauern. Angsthase sollte man in diesem Prozess keiner sein. „Wir haben uns mittlerweile aber auch das Vertrauen großer Produzenten erarbeitet, die wissen, in welcher Art wir Umsetzungen garantieren können.“ Da jeweils zwei Stücke zeitgleich laufen, sollten diese einander nicht zu ähnlich sein. „Das Publikum schätzt starke, interessante Themen mit Anspruch und Relevanz. Gute Texte sind ebenso essenziell wie emotionalisierende Musik.“
Christian Struppeck ist in dieser Hinsicht ein begnadeter Gefühlsseismograf, der Stimmungen rasch erkennt und integriert. „Musical hat natürlich diese faszinierende Mischung aus Tanz, Gesang und Schauspiel, die so perfekt ineinandergreift, dass sie die Menschen direkt berührt“, erklärt er die Vorzüge gegenüber anderen Genres. „Am ehesten würde ich das mit einem Film vergleichen, es ist jedenfalls die populärste Form des Musiktheaters und weltweit erfolgreich.“
Kraftstoff für den Wirtschaftsmotor
Das ist es nach der Pandemie zum Glück wieder. Während mancherorts noch über halb leere Spielstätten gejammert wird, sind sowohl „Rebecca“ als auch „Der Glöckner von Notre Dame“ beinahe durchgehend ausverkauft.
„Das ist nicht selbstverständlich“, weiß der Intendant. „Der Vorverkauf war schwierig und auf einem ganz anderen Niveau, als wir es gewöhnt waren. Das Publikum hat erst langsam wieder Vertrauen gefasst, mit jedem Monat wurden mehr Karten verkauft. Die Menschen entschließen sich heute ohnehin spontaner, das macht eine Vorausplanung schwieriger. Wir sind aber sehr froh über den Status quo und hoffen, dass es so bleibt.“ Denn man müsse nichtsdestotrotz jeden Tag darum kämpfen, die Theater auszulasten – „eine g’mahte Wiesn ist das nicht“.
Für Wien ist die positive Entwicklung umso erfreulicher, als das Musical auch über beeindruckende Zahlen im Bereich der Umwegrentabilität verfügt. „Jeder Subventionseuro kommt etwa drei Mal zurück“, weiß Christian Struppeck und liefert dafür auch gleich die Erklärung. „Viele Zuschauer*innen kommen aus den Bundesländern oder dem Ausland. Sie übernachten in Hotels, gehen in Restaurants, Cafés und Bars, fahren Taxi, verbinden den Aufenthalt mit dem Besuch anderer Kulturinstitutionen oder schauen sich am nächsten Tag das zweite Musical bei uns an.“ Dazu kämen Aktivitäten wie Shoppingausflüge und Friseurbesuche. „Da viele unserer Musicals weltweit laufen, reisen Menschen aus sehr fernen Ländern extra nach Wien, um sich am Ort des Ursprungs ein Stück anzusehen. Diese Strahlkraft auf den Tourismus sollte man nicht unterschätzen.“
Das Stadtcharisma dürfte mit der nächsten Produktion sogar noch ein wenig stärker wirken. Steht doch dabei ein Mann im Mittelpunkt, dessen Musik weltweit die Chartsspitzen erklommen hat: Falco.
Die Geschichte von Hans Hölzel
Im Jahr 2023, in dem sich der Todestag des Ausnahmekünstlers zum 25. Mal jährt, fand es Christian Struppeck an der Zeit, sich der heimischen Ikone anzunehmen. „Der Wunsch, ein Falco-Musical zu machen, wird seit elf Jahren an mich herangetragen. Obwohl ich die Idee faszinierend fand, habe ich immer abgelehnt, weil es bereits zwei Vorgängerprojekte gibt. Aber irgendwann dachte ich, okay, wir machen es – und wir machen es ganz anders.“
Und zwar nicht mit einer Rahmenhandlung, die das bloße Abspielen der größten Falco-Hits erlaubt, sondern biografisch. „Wie erzählen seine Geschichte. Er war sehr jung, als er völlig unerwartet praktisch über Nacht weltberühmt wurde, und konnte damit überhaupt nicht umgehen. Sobald er ein Star war – was er sich ja auch erhofft hatte –, war er in eine Maschinerie eingebunden und musste abliefern: lange Tourneen absolvieren, das nächste Album veröffentlichen, die Medien bedienen. Schon beim zweiten Album, ‚Junge Römer‘, hatte er eine Schreibblockade, weil er unglaublich perfektionistisch war und nicht auf Bestellung arbeiten konnte. Was als Spaß begonnen hatte, war plötzlich ein Business. Sein Privatleben mit Frau und Kind ging schief, weil er schlicht nie zu Hause war. All diese Konflikte haben mich als Künstler interessiert, ich konnte mich sehr gut in ihn hineinversetzen“, gerät Christian Struppeck in ein für seine zurückhaltende Art geradezu euphorisches Schwärmen.
Er glaubt, dass die Tragik des Alkohols und der Drogen mit dem enormen Druck zusammenhingen, auch die Kunstfigur Falco am Leben zu erhalten. „Für das Projekt arbeiten wir eng mit der Falco-Stiftung sowie vielen Wegbegleitern und Zeitzeugen zusammen. Sie haben uns geholfen, alles möglichst authentisch zu gestalten. Ich habe dabei gelernt, was für ein hochintelligenter und sensibler Texter er war. In gewisser Weise war er ein Genie, und wir wollen seine Entwicklung und auch seinen Absturz nachvollziehbar machen.“
Mit „wir“ meint Autor Christian Struppeck die niederländischen Bolland-Brüder, die nicht nur Falcos größte Erfolge verantworteten, sondern für das Musical auch neue Songs geschrieben haben, sowie den Regisseur Andreas Gergen, den Arrangeur Michael Reed, den Bühnenbildner Stephan Prattes und die Kostümdesigner Uta Loher und Conny Lüders, mit denen er bereits bei „I Am From Austria“ eng kooperierte.
Sobald er ein Star war, war er in eine Maschinerie eingebunden und musste abliefern. Was als Spaß begonnen hatte, war plötzlich ein Business.
Christian Struppeck analysiert Falcos Anfänge
Dazu kommen Lichtdesigner Howard Harrison („Mamma Mia!“ und „Mary Poppins“) sowie Anthony Van Laast, der die Original-Choreografien für „Mamma Mia!“ – und zwar für das Musical wie auch für den Film mit Meryl Streep – gemacht hat. „Es ist ein internationales Team auf allerhöchstem Niveau.“ Weniger hätte man auch nicht erwartet. Laufen wird „Rock Me Amadeus – Das Falco-Musical“ ab 7. Oktober im Ronacher. Die mit Spannung erwartete Besetzung und insbesondere der Hauptdarsteller werden noch vor dem Sommer präsentiert.
Kraft trifft Kulinarik
Was macht Christian Struppeck, dessen Beruf auch viele Reisen erfordert, wenn er sich nicht gerade mit Theater beschäftigt? „Dann bin ich bei John Harris“, antwortet er, ohne eine Sekunde zu zögern. „Das Fitnesscenter ist beinahe der einzige Luxus, den ich mir gönne. Aber selbst dort denke ich nach, ich habe mir beim Training schon ganze Stücke ausgedacht. Für mich sind diese eineinhalb Stunden am Morgen beinahe meditativ. Ganz abschalten kann ich allerdings auch dabei nicht, aber es heißt ja auch, ein Künstler habe nie Feierabend.“
Beinahe jeden Tag fährt er auf seinem Scooter in aller Früh ins Gym, erst danach geht es ins Büro. „Das ist wie eine Sucht, wobei ich schon gelernt habe, dass der Körper auch entspannende Pausen braucht und es okay ist, auch einmal einen Tag auszulassen. Ich könnte allerdings nicht eine Woche darauf verzichten – was daran liegt, dass ich schon ewig Krafttraining mache.“
Als zweite Leidenschaft nennt er das Kochen. „Stets nach Rezept, denn auch dabei bin ich sehr akribisch“, kann er immer wieder auch über sich selber lachen. „Ich will wissen, wie etwas funktioniert, und übe das dann auch. Kochen hat zwar mit Komposition zu tun, für mich aber wenig mit Improvisation.“
Wahrscheinlich bewundert er gerade wegen dieses Perfektionismus die TV-Köchin Nigella Lawson, deren Arbeitsweise gegenteiliger nicht sein könnte. „Die kommt nach dem Büro nach Hause, schmeißt ein paar Zutaten zusammen, erwartet acht Gäste, und alles ist kein Problem. An dieser Nonchalance muss ich noch arbeiten.“
Zum Abschluss die unvermeidliche Frage nach dem beruflichen Masterplan: Wie lange will er noch Intendant bleiben? „So lange es möglich ist. Ideen habe ich genug, Spaß an der Sache ebenfalls. Mir ist natürlich bewusst, dass es irgendwann einen Wechsel geben wird, aber ich werde sicher nicht aufzeigen. Wir sind ein tolles Team. Darauf bin ich wirklich stolz.“