Vertuscht, verleumdet, vernichtet
In Henrik Ibsens brandaktuellem Klassiker „Ein Volksfeind“ wird der Aufdecker zum Verräter dämonisiert. Regisseur David Bösch inszeniert das gesellschaftskritische Drama als Auftakt seiner politischen Ibsen-Trilogie.
„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, antwortet David Bösch, umgeben von Requisiten, die eine Baustelle zeigen, auf der Probebühne der Josefstadt im Stadtteil Aspern. Er hat eine nächtliche Zugfahrt von Berlin über Bratislava nach Wien hinter sich, die weder seiner Konzentrationsfähigkeit noch seiner freundlichen Zugewandtheit Schaden zufügen konnte. Erstaunlich.
Die Eingangsfrage bezog sich auf den deprimierenden Umstand, dass man Henrik Ibsens 1882 verfasstes Stück „Ein Volksfeind“ angesichts der Tatsache, dass sich an politischen Missständen nichts zu ändern scheint, auch für zeitgenössisch halten könnte. „Das hieße, dass Kunst, Nachdenken und Diskutieren keine Veränderung brächten. Ich will es optimistischer formulieren. Natürlich glaubt man immer daran, dass sich im Publikum zumindest eine Person befindet, die sich nicht mit dem Status quo zufriedengibt, sondern hinausgeht und die Welt tatsächlich verändern will.“ Nachsatz: siehe eingangs.
Wenn schon nicht die Welt, so doch sein eigenes Umfeld positiv beeinflussen will auch Ibsens Held Thomas Stockmann. Er, ein Arzt mit Frau und Kindern, findet heraus, dass sich in seinem kleinen Heimatstädtchen großes Unheil zusammenbraut. Jenes Wasser nämlich, das das neue Thermalbad, von dem sich die ganze Gemeinde wirtschaftliche Prosperität erwartet, speisen soll, ist industriell vergiftet. Was der Mediziner öffentlich machen will, um eine Katastrophe zu verhindern, wird zunehmend als Affront betrachtet.
Die Stimmung, angeheizt von Politik, Medien und Interessenverbänden, kippt schließlich, der sich zur Wahrheitsfindung verpflichtende Thomas Stockmann wird zum Volksfeind erklärt. Sätze wie „Und Sie gründen eine Stadt auf dem Boden stinkender Moralität, deren Verderbtheit das ganze Land, die ganze Welt anstecken wird“ oder „Die Zeitung soll ich kaufen, und dafür wollen sie mich dann zum Helden machen“ klingen nach jüngster österreichischer Politikvergangenheit: Von einer Mauschelei in die nächste Korruption. Ein Zufall oder doch der Grund dafür, den „Volksfeind“ gerade jetzt in Wien zu inszenieren?
„Das Stück ist in Wien ebenso zeitlos wie in Berlin, Zürich oder Bielefeld“, stellt David Bösch klar. „Bei einem Taubenzüchterverein in Bochum-Wattenscheid geht es wahrscheinlich genauso zu wie auf den Fluren des Bundeskanzleramts. Ich glaube an die Modellhaftigkeit des Ganzen, weshalb wir auch keine Figuren auf die Bühne stellen werden, die an Personen der jüngeren Zeitgeschichte erinnern sollen.“
Ihn interessiere vielmehr, was für alle auf dem Spiel stehe, das Ringen und Abwägen an den Schaltstellen der Macht. „Die Politik muss Arbeitsplätze schaffen, gleichzeitig müssen die Investitionen nachhaltig sein und dürfen den gesellschaftlichen Frieden und die Umwelt nicht zerstören. Das ist ein schwieriger Spagat, bei dem Kompromisse eingegangen werden müssen.“ Womit er keinesfalls der Korruption das Wort reden wolle. „Das Schöne an diesem Stück ist, dass es eben nicht in einem dreiseitigen Monolog die Welt von heute anprangert, sondern tatsächlich die Figuren zeigt. In ihrer Identität, im Glauben daran, wer sie sind, in dem, was sie für die Stadt tun wollen und worin sie sich vielleicht auch verlieren. Mit dem, was für sie auf dem Spiel steht. Es heißt an einer Stelle ja auch: Menschen sind nur Menschen. Und Menschen sind eben korrumpierbar, verführbar, besessen, eitel.“
David Bösch findet überhaupt, das Theater müsse sich nicht, wie oft gefordert, erneuern, vielmehr „muss es sich besinnen auf seine ureigensten Kräfte, auf seine Schauspieler*innen, Geschichten und Themen. Dann gäbe es auch nicht das Problem, dass Publikum und Feuilleton auseinanderklaffen. Das ist mein tiefer Glaube, sonst würde ich nicht Theater machen, sondern TikTok.“ Was bei einem Fantasiemotorisierten wie ihm freilich auch seinen Reiz haben könnte.
Papa Pinguin
Ihm sei immer klar gewesen, dass er erzählen wolle, denn er glaube an die Kraft von Emotionen. Deshalb sei er auch beim Theater gelandet. „Eigentlich wäre ich gerne Clemens J. Setz. Ich bin sein Fanboy“, verblüfft David Bösch mit einem unerwarteten Geständnis. „Leider kann ich nicht so gut schreiben wie er. Schade eigentlich, aber darunter, finde ich, sollte man es nicht machen.“ Nun verirrt sich doch ein Schmunzeln auf das Gesicht des nach eigenen Angaben introvertierten Künstlers. Mit 12 sei Schriftsteller ein großer Berufswunsch gewesen. „Aber das weiße Blatt Papier hat mich nicht inspiriert, und so habe ich für mich den Probenraum, sowohl mit Schauspieler*innen als auch mit Sänger*innen, entdeckt. Ich weiß, dass mich die gemeinschaftliche Situation animiert, dass ich dadurch kreativer werde.“
In den Genuss seines literarischen Schaffens kommt nun exklusiv sein Sohn, für den sich David Bösch Geschichten ausdenkt. Für ihn wird er schon bald auch sein Bühnen-Comeback – „nach einem kurzen Versuch als Schauspieler während meiner Ausbildung“ – geben. „Zu seinem fünften Geburtstag spiele ich ‚Der dickste Pinguin vom Pol‘, ein tolles Kinderstück von Ulrich Hub. Wahrscheinlich in einem Park oder in meinem Wohnzimmer. Die BÜHNE ist herzlich zur Premiere eingeladen!“ Fortsetzung folgt.
Zur Person: David Bösch
Studium der Theater- und Filmregie. Zu seinen wichtigsten Stationen zählen Residenztheater München, Deutsches Theater Berlin, Thalia Theater Hamburg, Salzburger Fest- spiele, Burgtheater, Bayerische Staatsoper München, Staatsoper Hamburg, Staatsoper Berlin, Royal Opera House Covent Garden, Opéra de Lyon und Semperoper Dresden. 2021 wurde seine Graphic Opera „Weiße Rose“ (arte) auf dem Golden Prague International Television Festival ausgezeichnet. David Bösch gilt als einer der führenden Regisseure für Sprechtheater und Oper seiner Generation. Nächstes Projekt: die Verfilmung von „Adern“, jenes Stücks von Lisa Wentz, das er heuer im Akademietheater inszenierte.