Wir haben die Geschwindigkeit entwickelt, aber innerlich sind wir stehen geblieben
Charlie Chaplins Meisterwerk „Der große Diktator“ hat Premiere in den Kammerspielen – mit Alexander Pschill und Daniela Golpashin in den Hauptrollen. Wir haben die beiden Publikumslieblinge bei den Proben besucht.
Und dann hat sie plötzlich das gesagt: „Es gibt diese Diskussion, ob das relevant ist, was wir am Theater machen. Die Frage müsste eher sein: Ist das andere relevant?“
Sie macht eine Pause. Als Zuhörer streifen die Gedanken die Gegenwart mit ihren Bildern des Krieges, der Krisen, der aufgeblasenen Egos, der Weltenzerstörung und wie unnötig all das ist – nein, sein sollte. Und während man denkt, setzt sie nach: „Chaplin ist die Urform der Unterhaltung und Rebellion und des Widerstandes gegen schlechte Laune.“
Da unterbricht ihr Gegenüber – fuchtelt begeistert mit den Händen herum – und setzt fort: „Richtig! Faschismus ist nichts anderes als aufgezwungene schlechte Laune.“
Solche Sätze stehen normalerweise am Ende von Geschichten oder Theaterstücken. Warum? Weil sie einfach schön sind.
Sie ist Daniela Golpashin und er Alexander Pschill.
Treffen in der Probebühne der Kammerspiele. Am 6. Oktober feiert „Der große Diktator“ Premiere. Dominic Oley hat das Stück bearbeitet und führt auch Regie. Alexander Pschill wird die Doppelrolle als Diktator von Tomanien und Barbier spielen. Daniela Golpashin das jüdische Mädchen Hannah.
Oleys Bearbeitung hantelt sich nahe am Chaplin-Film entlang, und das ist gut so. Daniela Golpashin: „Entweder man macht das Stück so, wie es Chaplin geschrieben hat, oder man macht ein anderes Stück oder schreibt sich eines selber.“
Yes!, würde man ihr gerne entgegenschreien – unterlässt es dann aber, weil irgendwie will man doch die Rollenverteilung „Journalist*in trifft Schauspieler*in“ aufrechterhalten.
Zur Person: Alexander Pschill
Er spielt in Film und Fernsehen, hat sein eigenes Theater (das Bronski & Grünberg gemeinsam mit Kaja Dymnicki und Julia Edtmeier), wurde be rühmt als der Kommissar von Rex. Er lernte Schauspiel am Cornish College in Seattle/Washington. Ab Oktober spielt er 50mal die Doppel rolle des großen Diktators und des jüdischen Barbiers in den Kammerspielen. Tipp: Karten jetzt sichern.
In „Der große Diktator“ war Chaplin nicht nur Hauptdarsteller, sondern er schrieb das Buch und die Musik, führte Regie und produzierte den Film. Das Werk aus dem Jahr 1940 ist mit zwei Stunden und fünfzehn Minuten nicht nur sein längster Film und sein erster Tonfilm, sondern auch der teuerste: Mehr als zwei Millionen Dollar flossen in die Produktion, und es war auch Chaplins finanziell erfolgreichster.
Es ist die groteske Verwechslung des tomanischen Diktators Adenoid Hynkel mit einem jüdischen Barbier. Zwei Szenen aus dem Film schrieben Geschichte: Hynkels Jonglage mit der Weltkugel (untermalt mit Wagners Vorspiel zu „Lohengrin“) und die flammende Ansprache, der laute Aufschrei des kleinen Mannes nach Freiheit, Gleichheit und der Kampf gegen die Unterdrückung am Ende des Films (siehe rechte Seite). Eine Szene, die es fast nicht gegeben hätte – denn Chaplin plante zuerst ein Filmende, in dem alle Soldaten die Waffen niederlegen und vor Freude tanzen. Gut, dass er diese Idee verwarf.
Wir sind jetzt bei der Einserfrage: „Chaplin nachspielen? Geht das überhaupt?“
Wir spielen nicht Charlie Chaplin, sondern die Rolle, die auch er verkörpert hat. Wir versuchen nicht, das Original zu imitieren, sondern behandeln es wie jeden anderen Text. Es ist auch die einzige Möglichkeit, nicht zu verlieren.
Alexander Pschill, Schauspieler
Er grinst. Nachsatz: „Der Schmäh ist, dass man dem Original eh nicht gerecht werden kann und einfach etwas Eigenes findet.“
Golpashin und Pschill haben sich Anfang der 2000er-Jahre bei Dreharbeiten kennengelernt. Sie war damals siebzehn. Später hat sie auch in Pschills Bronski & Grünberg gespielt. Aber jetzt stehen sie erstmals gemeinsam auf einer Theaterbühne.
Zeit für einen neuerlichen Exkurs.
Zwei Vorwürfe wurden dem Filmstück immer wieder gemacht. Einerseits, dass die Ghetto-Szenen zu harmlos gezeigt werden, und andererseits wurde infrage gestellt, ob man sich überhaupt über Hitler lustig machen darf.
Wie lustig darf man sich machen?
Und das sagt Michael Kloft, Autor der großartigen Doku „Der Tramp und der Diktator“ dazu: „Man darf nicht vergessen, dass Chaplin 1940, zum Zeitpunkt der Entstehung des Films, bei weitem nicht alle grausamen Details der nationalsozialistischen Wirklichkeit kannte. Chaplin selbst hat später erklärt, dass er, wenn er mehr gewusst hätte, diesen Film niemals gedreht hätte. Für mich bleibt das Werk eine geniale Adaption – mit den Mitteln der satirischen Komödie entlarvt Chaplin auf brillante Art und Weise die Realität.
Mögen die Szenen im Ghetto auch übertrieben harmlos wirken, es gibt genug Momente, die die Gefahren und die Brutalität des Regimes durchaus eindringlich schildern. Die Historikerin Gitta Sereny sagt, man dürfe das Leiden nicht verkleinern, indem man es als Komödie inszeniert. Der amerikanische Schriftsteller Ray Bradbury hingegen ist davon überzeugt, dass nur das Lachen hilft, weil man die Täter damit besser entlarven kann. Ich stimme ihm zu und halte Chaplins Film in dieser Hinsicht für eine ganz hervorragende Abrechnung mit Hitler. “ Mit einem anderen Vorwurf, dem der mangelnden Aktualisierung, sahen sich in Graz die Theatermacher*innen ausgesetzt, als sie vor Jahren das Stück auf die Bühne brachten.
Ein Vorwurf, der Pschill nur den Kopf schütteln lässt: „Diesen Ruf nach Aktualität verstehe ich nicht ganz. Wenn etwas aus der Vergangenheit kommt und die Gegenwart bewirkt, dann ist es doch relevant.“ Daniela Golpashin sekundiert: „Die Aktualität findet statt, indem ich als Zuschauer ins Theater gehe und mich bei der großen Rede frage: Warum habe ich das Gefühl, dass ich das, was der gerade gesagt und gespielt hat, gestern in den Nachrichten gesehen habe? Diese Parallelen, die man da erfährt, muss man nicht erklären. Der Zuschauer weiß, was in der Welt passiert. Er kann eins und eins zusammenzählen. Dazu müssen wir nicht den Alexander als Putin schminken, um diese Zusammenhänge aufzuzeigen.“
Es ist fein, mitanzusehen, wenn Daniela Golpashin ein wenig in Rage gerät. Diese Reaktion zeigt, wie sehr das Stück noch immer und auch wieder bewegt. Und so geschieht es, dass wir ins Plaudern kommen und Golpashin erzählt, sie habe gerade etwas von Otto Schenk gelesen, der sagt, dass es nie nur einen großen Führer, das eine Böse gibt, sondern es immer die vielen sind, die um Diktatoren „herumscherwenzeln“.
Es gibt die Diskussion, ob das relevant ist, was wir am Theater machen. Die Frage ist eher Ist das andere relevant?
Daniela Golpashin, Schauspielerin
„Weißt du?“, sagt Daniela Golpashin unvermittelt, „Aktualität ist dann, wenn der Funke überspringt.“ Sie sagt es, und Pschill klatscht. Ich würde auch gerne – aber ich tue es nicht, es schiene mir noch immer ein wenig distanzlos. Na ja.
Vom Boot der Humanität
50 Vorstellungen sind geplant, und das Publikum darf sich auf ein Stück mit Tempo und viel physischem Einsatz freuen. Pschill: „Dominic verlangt Ausdauer und Sprache, und das macht große Freude.“ Golpashin ergänzt einmal mehr: „Ich verausgabe mich gern. Ich mag die Schnelligkeit, die Genauigkeit und den Rhythmus, wenn sich alles verbindet. Ich habe das Gefühl, dass dieses Stück zur richtigen Zeit kommt. Es passt. Chaplin ist eine Einladung, alle Menschen mit ins Boot der Humanität zu holen.“
Ein guter Plan. Relevant. Und damit wären wir wieder beim Anfangssatz dieser Geschichte.