„Der Tod in Venedig“: Wenn die Gondel Sänger trägt
Rainer Trost und Martin Winkler begeben sich in „Der Tod in Venedig“ von Benjamin Britten in die Lagunenstadt. In der Regie von David McVicar erforschen sie, was passiert, wenn Gott Eros einen alternden Autor herausfordert.
Das Flirren der Lagunenstadt. Die Schwüle. Der unerbittlich blasende Scirocco. Und mittendrin ein Schriftsteller in der Schaffenskrise, der durch einen Knaben ein letztes Hoch durchlebt. Luchino Viscontis von Morbidität geprägter Film erscheint schnell vor dem geistigen Auge, wenn man an Thomas Manns „Der Tod in Venedig“ denkt. Ähnlich ging es wohl Regisseur David McVicar, der Benjamin Brittens auf der Novelle basierende Oper 2019 in London herausbrachte – und dessen Inszenierung ästhetisch einige Parallelen zu Viscontis Film hat.
Wenn diese nun an die Volksoper übernommen wird, sind es Rainer Trost und Martin Winkler, die die Hauptpartien singen. Beim Fotoshooting probieren sie schon einmal die venezianische Gondel aus, mit der Winkler Trost in der Lagunenstadt herumschippern wird. Trost mimt den Dichter Gustav von Aschenbach, Winkler verkörpert gleich mehrere Personen, die diesem in Venedig begegnen – vom Gondoliere und dem Hotelmanager über den ältlichen Gecken bis zum Barbier.
Keinesfalls banal
Wir treffen die beiden Sänger Anfang April, noch vor dem Start der szenischen Proben, in die sie betont gelassen hineingehen: „Ich bin immer besser gefahren damit, die Arbeit mit dem Regisseur erst einmal auf mich zukommen zu lassen und zu schauen, was er möchte“, sagt Winkler. „Natürlich gibt es Schauspieler, die bei Probenbeginn sagen, sie hätten 25 Bücher zum Stück gelesen, aber ich sage Ihnen ganz ehrlich, ich tue es nicht.“
Und auch Rainer Trost betont, den pragmatischen Zugang seines Kollegen zu teilen: „Ich weiß jedenfalls aus den Filmaufnahmen aus London, dass die Inszenierung sehr ästhetisch ist und nahe an der Partitur. Alles andere werden wir sehen. Wenn man sich für eine bestehende Inszenierung sehr viele Vorschläge überlegt, scheitert man ja hundertprozentig.“
Auch wenn die beiden vielleicht sogar ein wenig kokett betonen, sich inhaltlich nicht sehr vorbereitet zu haben, treten im Gespräch naturgemäß ihre Überlegungen zu Thomas Manns Novelle zutage: „Zwar heißt das Werk ‚Der Tod in Venedig‘, aber der Tod ist eigentlich das Unwichtigste“, sagt Rainer Trost.
Zur Person: Rainer Trost
Rainer Trost hat an Häusern wie dem Royal Opera House, der Bayerischen und der Hamburger Staatsoper, der Metropolitan Opera sowie bei den Salzburger Festspielen gearbeitet. Im Konzertbereich gehört er zu den gefragtesten Evangelisten („Johannes- Passion“) seiner Generation. An der Wiener Staatsoper war er zuletzt als Lurcanio in „Ariodante“ zu sehen, an der Volksoper in „Die Fledermaus“ als Alfred und Eisenstein.
„Für mich ist es vielmehr ein Stück über Erlösung. Aschenbach hat eine Blockade, er steht an. Und dann wird ihm etwas geschenkt in Person dieses Knaben, der ihn anzieht.“ Trotz der Attraktivität, die dieser Tadzio ausstrahlt, der in McVicars Inszenierung von einem Balletttänzer (Victor Cagnin aus dem Wiener Staatsballett) verkörpert wird, sehe er Manns Novelle aber keinesfalls als Geschichte über Pädophilie: „Meiner Meinung nach geht es auch nicht um einen Mann, der im hohen Alter plötzlich merkt, dass er schwul ist. Dann wäre die Geschichte banal. Und Thomas Mann ist vieles, aber sicher nicht banal. Vielmehr ist Gott Eros in Aschenbach eingefahren und macht mit ihm, was er will.“
Für ihn liege der Charme des Stoffes darin, „dass plötzlich etwas passiert, was so weit weg ist von dem, was die Gesellschaft akzeptieren kann. Und gleichzeitig bringt dies für Aschenbach einen Moment endloser Freiheit – dem gemeinerweise gleich der Absturz folgt.“ Während er über den Inhalt der Novelle redet, kommt Trost zu dem Schluss: „Der Stoff ist für eine Oper erfreulich intellektuell.“
Schwebend und schwül
Martin Winkler schließt sich Trost an: „Für mich geht es um einen Konflikt, in den jeder geraten kann, der etwas Neues sucht und erst schauen muss, wie das gesellschaftlich verträglich ist“, sagt er. Seine Figuren sind allesamt Vorboten des Todes und Repräsentanten des Verführerischen und Vergnüglichen: „Sie sind immer dubios, weisen alle auf Krankheit, Tod und Fatalismus hin. Bis hin zum finalen Arrivederci“, sagt Winkler. „Man kann in sie vieles hinein projizieren, den Teufel, die Möglichkeit des Todes. Ich bin jedenfalls das Gegenprinzip, die finale Lösung oder Erlösung.“
Zur Person: Martin Winkler
Martin Winkler ist dem Volksopern-Publikum bereits als Bartolo, Alcindoro, Don Pizarro, Besenbinder, Monterone und Gianni Schicchi sowie als Jupiter in „Orpheus in der Unterwelt“ bekannt. Er ist auch mehrfach an der New Yorker Met, bei den Bregenzer Festspielen und am Opernhaus Graz (u.a. als Wozzeck) aufgetreten. Am Theater an der Wien sah man ihn als Gogol, in Bayreuth als Alberich.
Das Faktum, dass Benjamin Britten die Oper für seinen Lebensgefährten Peter Pears komponierte, bringt Trost zu der sarkastisch gemeinten Überlegung: „Man muss sich fragen, wie sehr er Pears geliebt hat, wenn er das für ihn schrieb. Meine Partie ist zwar bequem für meine Stimme, aber ein Langstreckenlauf. Den muss man sich erst einmal ins Hirn prügeln.“ Schließlich ist seine Figur fast durchgehend auf der Bühne. „Erschwerend kommt in dieser Musik hinzu, dass manches wenig zielgerichtet ist“, beschreibt er. „Das liegt natürlich daran, dass Britten vermitteln möchte, wie in Venedig alles schwebt, dass es schwül ist oder der Nebel durch die Kanäle zieht. Das macht die Struktur des Stücks aber teils zur zusätzlichen Herausforderung. Man muss sich früh genug hinsetzen, wenn man diese Musik lernen möchte.“
Winkler seinerseits freut sich, dass er „auf einer ganzen Klaviatur spielen kann“, sind doch seine Figuren auch musikalisch unterschiedlich charakterisiert. „Ich mag die Stimmungen und die Farben, die Britten verwendet, um die Szenen, in denen meine Figuren vorkommen, so variantenreich zu gestalten.“ Generell finde er die Musik „kulinarisch, sehr eklektizistisch und in meinem Fall sehr dankbar“. So freuen sich beide Herren schon, sich in die Proben zu stürzen und dann wirklich mit der Gondel in McVicars Venedig-Vision herumzuschippern.