Ist die Erde eine Scheibe, Moritz Eggert? Nein. Eine Mozartkugel.
Moritz Eggert hat eine Operette geschrieben, in der alle Verschwörungstheorien wahr werden. Außerdem fürchtet er, dass künstliche Intelligenz bald viele Kreativjobs killt. Ein Gespräch.
Kunst ist gesellschaftsrelevant. Manchmal biegen Gespräche, die wir mit Künstler*innen führen, in neue Themenregionen ab. Etwa: Was passiert da gerade mit künstlicher Intelligenz? Wussten Sie, dass ein Großteil der Gebrauchsmusik nicht mehr von Menschen, sondern von Computerprogrammen zusammengestoppelt wird?
Oder: Was würden Sie davon halten, dass nur noch die öffentlich-rechtlichen Anstalten soziale Medien betreiben dürfen, ein völlig absichtsloses Netzwerk also? Würde das die Welt nicht besser machen als so manche „Bergdoktor“-Folge?
Eigentlich hat unser Gespräch mit dem Ausnahmekomponisten Moritz Eggert damit begonnen, dass wir über seine Operette „Die letzte Verschwörung“ sprachen. Ein rasantes Werk über Verschwörungstheorien aller Art.
Auf welche Verschwörungstheorie hätten Sie gerade jetzt besonders Lust?
Dass die leider wenig anstrengende Neoklassik von bösen Eliten erfunden wurde, um uns alle zu verdummen und heimlich zu kontrollieren, und dass man dagegen ganz dringend aufbegehren muss. Ich mag Musik, die mich herausfordert beim Zuhören. Ich mag auch Bücher, in denen ich nicht weiß, was auf der nächsten Seite passiert.
Wie klingt Ihre Musik?
Ich gebe mir sehr viel Mühe, dass meine Musik nicht langweilig ist. Mir ist Melodik sehr wichtig. Ich kann jederzeit von einem dissonanten Akkord in eine Musical-Nummer gehen. Das ist kein Widerspruch. Mozart ist für mich ein Vorbild, weil er auch in keinem bestimmten akademischen Stil komponiert hat, sondern alles, was in seiner Zeit gespielt wurde, zitiert und parodiert. Das trifft auch auf Brahms und Beethoven und Mahler zu. Ich möchte vermitteln, dass man meiner Musik folgen kann. Das bedeutet nicht, dass man alles versteht. Ich weiß ja auch bei Spitzenköchen oft nicht, welche geheimnisvollen Gewürze sie verwenden. Diese Details muss ich gar nicht wissen. Ich versuche mich immer in die Rolle der Zuhörer zu versetzen. Das ist etwas, was nicht bei allen Kollegen auf Platz Nummer eins steht. Da werden Partituren oftmals geschrieben, um einen akademischen Anspruch zu haben oder um zu beeindrucken. Ich möchte lieber, dass man meine Musik liebt, anstatt davon beeindruckt zu sein.
95 Prozent aller Komponierenden werden ihre Jobs verlieren, weil Jingles und Hintergrundmusik von künstlicher Intelligenz erzeugt werden.
Moritz Eggert
Ich nehme an, in Ihrer Playlist findet man keine Musik von Andrew Lloyd Weber …
Immerhin war er so schlau, in jedem seiner Musicals zumindest eine gute Nummer zu platzieren. „Don’t Cry for Me Argentina“ ist ja nicht so schlecht. Er hat auf jeden Fall musikalisches Gespür.
Wie kam es überhaupt zu diesem Verschwörungsprojekt ?
Lotte de Beer hat mir mit ihrem Anruf die Coronazeit gerettet. Das war ein schöner Lichtblick. Sie hat gesagt: „Hast du Lust, eine Oper über Flatearther zu schreiben?“ Ich habe ihr dann innerhalb eines Tages einen Handlungsentwurf gemacht und gemeint, das alleine reicht nicht. Und sie hat gesagt: „Das machen wir.“ Das war die kürzeste Opernverhandlung meines Lebens. Ich habe dann in der Coronazeit beobachtet, wie sich manche Menschen in Verschwörungen immer weiter hineinsteigern – habe aber alle Coronaverschwörungen ausgespart. Die Idee von dem Stück war, dass alles zugleich wahr wird, dass eine absurde Überhöhung stattfindet und die Hauptfigur – ein österreichischen Talkmaster – immer mehr in die Bredouille kommt. Das ist komisch, aber auch tragisch. Und was die Art des Stückes angeht: Da ist es meine Absicht gewesen, dass man in eine Oper bzw. Operette geht und der Handlung folgen kann, ohne das Programmheft aufschlagen zu müssen, um kluge Aufsätze von Dramaturgen zu lesen. Man kann also reingehen und muss rein gar nichts vorher wissen. Es wird, wie im Kino, eine Voiceover-Stimme geben, die in der Oper nie eingesetzt wird. Bedeutet, es wird nicht nur gesungen, sondern man wird auch an der Hand genommen.
Das finde ich sehr dankenswert.
Gerne. (Lacht.) Es kommen auch viele Klischees vor, von Menschenpizza bis Matrix. Und das Heute: YouTube, TikTok. Es gibt Verschwörungen in der österreichischen Regierung. Es ist auch die erste Oper, in der eine UFO-Landung vorkommt.
Aber die Erde ist schon eine Scheibe?
Nein. Eine Mozartkugel. Ein Freund von mir hat eine Tochter, die ist Stewardess und glaubt, dass die Erde flach ist. Sie fliegt um die Welt, aber sie glaubt, dass die Erde eine Scheibe ist. Das zeigt so schön, dass uns Argumente nicht weiterbringen. Wir haben eine Meinung und suchen dann im Internet Argumente, die das unterstützen. Eigentlich furchtbar, eine Plage.
Ein Thema, das Sie umtreibt, ist künstliche Intelligenz – also etwa Programme, mit denen jeder Laie komponieren kann.
Das ist ein sehr ernstes Thema. Es ist so, dass 95 Prozent der momentan Komponierenden ihren Job verlieren werden. Wussten Sie, dass schon jetzt ein Teil der Gebrauchsmusik nicht mehr von Menschen gemacht wird? Und zwar auf dem Level der sogenannten angewandten Musik – also Musik für Soap-Operas, Hintergrundmusik, Jingles. Das wird sich dramatisch verändern. Ich höre von Kolleg*innen, dass in Filmen schon viel mit KI-Musik gefüllt wird. Ich glaube aber auch, dass wir als lebendige Komponisten besser sind, weil wir verrücktere Ideen haben. Die KIs werden immer besser, das zu replizieren, was es gibt. Es ist aber alles wahnsinnig langweilig. Bislang gibt es ja nur KIs, aber keine Singularität. Aber diese Apps sind so gut, dass Sie als kreativer und lustiger Mensch durchaus in der Lage sind, ein Hip-Hop-Stück zu komponieren, das vermutlich gar nicht so schlecht ist.
Ich möchte lieber, dass man meine Musik liebt, anstattdavon beeindruckt zu sein.
Moritz Eggert
Eine Forderung von Ihnen – und damit holen Sie mich sehr ab – ist, dass Sie ein soziales Netzwerk der öffentlich-rechtlichen Anstalten fordern.
Ja – das wäre ein genialer Coup. Weil wir dadurch dem Müll, dem wir durch die kommerziellen sozialen Medien ausgesetzt sind, um länger auf der Plattform zu bleiben, nicht ausgesetzt wären. Dann könnten wir endlich einmal in Ruhe nette Gespräche führen.
Ein völlig absichtsloses soziales Netzwerk klingt großartig. Wo wollen Sie hin mit Ihrem Werk, in einer Welt, in der alles so laut ist?
Ich habe die Hoffnung, dass das Musiktheater, das wir alle lieben, so lebendig bleibt. Dass es sich der Zeit, in der wir leben, zuwendet und dass ich weiter in diesem Bereich arbeiten darf. Es ist jetzt die neunzehnte Oper, die ich schreiben durfte, und ich würde das gerne weitermachen. Das ist mein Traum.
Zur Person: Moritz Eggert
Moritz Eggert ist einer der spannendsten Komponisten unserer Zeit. Er komponierte für die Eröffnung der Fußball-WM, eine Oper mit Hans Neuenfels, ein Ballett für den Opernball. Er lebt in München, betreibt einen Kultur-Blog und ist Präsident des Deutschen Komponist*innenverbandes. Eggert hat sieben Kinder, drei Nebenfrauen und vier magersüchtige Cockerspaniels. Behauptet er.