Ein eingespieltes Team
Um ins Bewusstsein des „Zauberberg“-Protagonisten Hans Castorp einzusteigen, bedarf es zahlreicher Aufstiege. Bühnenbildner Peter Baur stellt für Bastian Krafts Inszenierung des Romans einen riesigen weißen Berg auf die Bühne des Burgtheaters.
„Es ist kein Ort, an dem es viele Stellen gibt, wo man einfach nur gemütlich stehen kann“, sagt Peter Baur über sein Bühnenbild zu „Der Zauberberg“ und erntet dafür prompt einen Lacher von der rechten Seite. Dieser stammt von Markus Meyer, Schauspieler und Publikumsliebling am Burgtheater, der nach einer kurzen Pause hinzufügt: „Ich freue mich schon darauf.“ Man nimmt ihm diese Aussage nicht nur aufgrund seines vorfreudig entschlossenen Blicks und seiner offenen Art zu kommunizieren zu hundert Prozent ab, sondern auch deshalb, weil es Beweise gibt, die eindeutig dafürsprechen. Der schon 220-mal gespielte Soloabend „Dorian Gray“ zum Beispiel. Das auch als Projektionsfläche für mehr als ein Dutzend Videos genutzte Klettergerüst, auf dem Markus Meyer in der nicht nur körperlich fordernden Inszenierung herumturnt, wurde ebenfalls von Peter Baur erdacht und entwickelt.
Wie nun auch beim „Zauberberg“ führte damals Bastian Kraft Regie. Der großgewachsene deutsche Theaterregisseur hat sich rechts neben Markus Meyer auf einen Stuhl gesetzt. „Durch Peters Vorschlag für das Bühnenbild zu ‚Dorian Gray‘ entstand die Idee, das Stück mit nur einer Person zu machen, die auf der Bühne mit ihren auf Video gebannten Alter Egos interagiert“, legt er einen kleinen Teil der Entstehungsgeschichte der Inszenierung offen. „Damals wussten wir noch nicht, ob diese Art, mit Video umzugehen, funktionieren würde. Aber ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass das etwas ganz Besonderes werden könnte – auch wenn es uns im Machen teilweise völlig wahnsinnig vorkam.“ Der anhaltende Erfolg der Inszenierung, die 2010 zum ersten Mal im Vestibül gezeigt wurde und etwas später ins Akademietheater übersiedelte, gibt seinem Gefühl von damals recht.
Eine gemeinsame Theatersprache
„Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich damals eine Kehlkopfentzündung hatte und die Probenzeit dadurch ziemlich kurz war. Bastian ist ruhig geblieben und hat immer wieder betont, dass wir das schaffen können. Da steckte einfach unser aller Herzblut drin. So ein Erlebnis, bei dem alle so mitfiebern und zu hundert Prozent dran sind, hat man selten“, erinnert sich Markus Meyer.
Auf „Dorian Gray“ und „schöner lügen – Hochstapler bekennen“, der allerersten gemeinsamen Arbeit von Markus Meyer, Bastian Kraft und Peter Baur, folgten „Ludwig II.“, „Die Schwerkraft der Verhältnisse“ und nun die Bühnenadaption von Thomas Manns Monumentalroman „Der Zauberberg“. „Die Arbeiten sind schrittweise immer komplexer geworden. Auch deshalb, weil uns all die Erfahrungen, die wir als Team gesammelt haben, Mut und Energie gegeben haben, Dinge auszuprobieren“, resümiert Peter Baur. Bastian Kraft ergänzt: „Wenn ich Vertrauen und das Gefühl einer soliden gemeinsamen Basis habe, fühle ich mich sicher, weiterzugehen.“ Vertrauen ist auch für Markus Meyer ein wichtiges Stichwort. „Wir haben eine gemeinsame Theatersprache gefunden. Ich kann schnell erahnen, worum es geht, und fühle mich auf eine schöne Art und Weise aufgehoben – ohne dabei meine Neugierde und die Bereitschaft, mich auf neue Begegnungen und Konstellationen einzulassen, zu verlieren.“ Vollkommen floskelfrei lässt sich bereits nach wenigen Gesprächsminuten sagen: Hier ist ein eingespieltes Team am Werk.
Vier Stimmen in einem Kopf
Doch nun zurück zum „Zauberberg“ und dem Bühnenbildmodell zur Inszenierung, das Peter Baur zum Interviewtermin mitgebracht hat. Unübersehbar im Zentrum: ein weißer Berg, der aus verschieden großen und unterschiedlich geformten Flächen zusammengesetzt ist. Er ist Bildträger für die mit dem vierköpfigen „Zauberberg“-Ensemble gedrehten Videos, aber auch als Klettergerüst tragendes Element der Inszenierung. „Es ist ein Bühnenbild, das die Körper zu einer Reaktion zwingt. Dadurch hat es eine hohe theatrale Kraft“, erklärt der Regisseur, der darin auch eine Verbindung zur Hauptfigur aus Thomas Manns Roman erkennt. „Auch Hans Castorp befindet sich an einem Ort, der etwas mit ihm macht.“
Der Inhalt des Romans in aller Kürze: Ein kurzer Besuch in einem Schweizer Sanatorium wird für den angehenden Ingenieur Hans Castorp zu einem siebenjährigen Aufenthalt und der Kurort zur Bühne für ein weitgehend weltentrücktes Figurenarsenal, das vor dem „Donnerschlag“ des Ersten Weltkriegs die Augen verschließt. Bastian Kraft erzählt die Geschichte mit vier Spieler*innen, die – so der Regisseur – alle Hans Castorp sind. Vier Stimmen in einem Kopf.
„Es geht für mich in dieser Arbeit nicht so sehr darum, ein Gesellschaftspanorama zu zeichnen, sondern darum, in Castorps Psyche einzusteigen“, erklärt der Regisseur. Der weiße Berg, dessen Wirkungsmacht bereits durch das Bühnenbildmodell spürbar wird, steht für sein Ich, aus dem es keinen Ausweg gibt. Zwar weniger klaustrophobisch als der Setzkasten in „Die Schwerkraft der Verhältnisse“, hat das Bühnenbild dennoch eine starke Rahmung. Wie auch schon das Klettergerüst in „Dorian Gray“, wirft Markus Meyer ein. „Sobald ich dieses Gerüst betrete, bin ich in diesem Kosmos. Ich fühle mich zwar nicht eingesperrt, muss aber im wahrsten Sinne des Wortes auf bestimmten Bahnen wandeln.“
„Natürlich könnte man das Gerüst oder den Berg verlassen, aber das Schöne am Theater ist ja, dass es auf der Magie der Verabredung basiert“, ergänzt Bastian Kraft. Wie auch auf dem Zauber guter Zusammenarbeit zwischen drei ganz eigenen Köpfen, die mit einer Theaterstimme sprechen.