Ein zweiter Engel für Scheumann
Knapp 30 Jahre nach der Uraufführung bringt das Burgtheater Tony Kushners „Engel in Amerika“ auf die Bühne. Für Markus Scheumann ist es die zweite Begegnung mit dem ikonischen Stück.
Die Unwiederholbarkeit des Live-Moments ist eine jener Säulen des Theaters, die vor allem in Zeiten von „Netflix and Chill“ gar nicht oft genug betont werden können. Die Illusionsmaschinerie kann noch so präzise eingestellt sein, am Ende fuhrwerkt sie doch nach ihren eigenen Gesetzen – und produziert dabei einzigartige – also tatsächlich einmalige – Momente. Das trifft natürlich auch dann zu, wenn man als Schauspieler*in Teil eines Stücks ist, in dem man schon einmal auf der Bühne stand.
Meist liegt ein großes Bündel an Erfahrungen zwischen den Produktionen, und auch die äußeren Umstände sind in der Regel komplett andere. Mehr als ein Vierteljahrhundert ist vergangen, seit Markus Scheumann zum ersten Mal in Tony Kushners „Engel in Amerika“ auf der Bühne zu sehen war. Knapp dreißig Jahre nach der Uraufführung des preisgekrönten Stücks, das vor allem innerhalb der queeren Community ikonenhaften Status genießt, ist er in einer Inszenierung des amerikanischen Regisseurs Daniel Kramer ab 12. November im Akademietheater zu erleben.
„Damals habe ich Louis gespielt, einen der jungen Leute in dem Stück“, erinnert sich Markus Scheumann, den wir nach der Probe im Arsenal treffen, wo das Burgtheater seine Probebühnen beherbergt. In Kramers Inszenierung verkörpert er nun den ultrakapitalistischen Anwalt Roy M. Cohn, der vorgibt, an Leberkrebs erkrankt zu sein, um nicht zugeben müssen, dass er AIDS hat. „Das ist jetzt vielleicht ein wenig anekdotisch, aber ich dachte damals, dass die alten Schauspieler im Ensemble die älteren Figuren spielen müssen. Nun bin ich mit dreiundfünfzig in haargenau demselben Alter wie der Schauspieler, der damals Roy M. Cohn spielte“, erzählt der gebürtige Dortmunder lachend.
Aktualität ohne bevorstehendes Millennium
Aus dem eigentlich zweigeteilten Stück wird meist der erste Teil, „Die Jahrtausendwende naht“ (im englischen Original „Millennium Approaches“), aufgeführt. „Damals hatte das auch aufgrund des Titels eine unglaubliche Dringlichkeit. In meinen Zwanzigern hatte ich schon das Gefühl, dass die Jahrtausendwende alles verändern würde“, sagt Scheumann. Auch ohne unmittelbar bevorstehendes Millennium sei das Stück aber immer noch hochaktuell, fügt der Schauspieler hinzu. Zwar hätte sich vor allem im Westen Europas vieles in eine gute Richtung entwickelt, „doch man braucht nur über die Grenze nach Polen, Ungarn oder Serbien zu schauen, wo es erst kürzlich Versuche gab, die EuroPride abzusagen.“ Auch hier gebe es noch viel zu tun, ist der Schauspieler überzeugt. „Auch eine kleine Benachteiligung ist immer noch eine Benachteiligung“, schließt er seine Ausführungen ab.
Wohlüberlegtes Bauchgefühl
Mit seiner markanten Stimme hatte Markus Scheumann das Wiener Publikum schon nach kurzer Zeit in der Tasche. Als Kreon in Thomas Köcks „antigone. ein requiem“ feuerte er maßgeschneiderte Slim-Fit-Sätze ins Publikum. „Engel in Amerika“ ist seine erste Zusammenarbeit mit Daniel Kramer.
„Am Anfang der Proben sagte er zu uns, dass das Stück als Jugendlicher sein Leben gerettet hätte. Außerdem kennt er das New York dieser Zeit, die Szene, die Orte. Ich fühle mich in der Arbeit total gut aufgehoben und kann mich fallen lassen“, verleiht Markus Scheumann seinen Gefühlen Ausdruck. Seine Rollen sieht er als Gefäße, die man vor sich hinstellt und nach und nach anfüllt. Die Arbeit an den Stücken begleitet ihn, auch wenn er sich gerade nicht im Arsenal oder in einer der Spielstätten des Burgtheaters aufhält. Auch jetzt, beim Interview, kommt er über die heutige Probe ins Grübeln: „Ich denke gerade, dass ich viel zu zaghaft war – da geht definitiv noch mehr.“
Ob er sich selbst eher den Kopf- oder den Bauchschauspielern zuordnen würde? „Ich denke, dass die Leseprobe eher eine Kopfveranstaltung ist, die ersten Proben aber den Bauch erfordern. Da will einfach nur gespielt und nichts überlegt werden. Ich gehöre allerdings zu jenen, die am Ende trotz- dem wissen möchten, was das alles jetzt eigentlich war – also muss der Kopf wieder zurück. Am Ende kommt es dann zu dieser grauenvollen Annäherung von Kopf und Bauch“, bringt es der Schauspieler heiter auf den Punkt. Neugierde und Offenheit sind Scheumann in seiner Arbeit wichtig – „wie auch das Bestreben, sich von seiner besten Seite zeigen zu wollen“, fügt er hinzu. Das klingt definitiv nach wohlüberlegtem Bauchgefühl.
Zur Person: Markus Scheumann
Markus Scheumann, geboren 1968 in Dortmund, studierte an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Festengagements führten ihn u.a. an das Theater an der Ruhr in Mülheim, das Schauspiel Köln und das Düsseldorfer Schauspielhaus. Mit der Saison 2019/20 wechselte er vom Schauspielhaus Zürich ans Burgtheater.