Unprätentiös sind nur die ganz Großen. Zwischen der ersten Anfrage und dem tatsächlichen Interview vergehen nur wenige Tage, und auch bei der Wahl des Gesprächsorts ist die Grande Dame heimischer Schauspielkunst keine Diva. „Kommen Sie zu mir, und bringen Sie einen Fotografen mit“, lässt sie charmant wie bestimmt fernmündlich wissen. Sofort verfällt man jenem von vielen Burgtheaterbesuchen bekannten elegant-dunklen Timbre, dessen weiches Wienerisch heute nur noch selten auf einer Bühne zu hören ist.

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Elisabeth Orth unterhält humorvoll, während sie konzentriert posiert. Dann bittet sie an ihren „Lese-Lieblingsplatz“ und motiviert zum Gesprächsbeginn.

Elisabeth Orth
Elisabeth Orth wird am 13. November mit dem NESTROY für Ihr Lebenswerk geehrt.

Foto: Andreas Jakwerth

Mit welchen Gefühlen blicken Sie dem NESTROY für Ihr Lebenswerk entgegen?

Mit jenen Sätzen, die man auch von anderen Lebenswerkpreisträgern schon gehört hat: „G’schwind, g’schwind, bevor sie uns stirbt“ (lacht) und „Ich bin ja noch gar nicht tot“. Vor allem aber habe ich mich über die Nachricht gefreut.

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Sie haben von der Kainz-Medaille bis zum Goldenen Ehrenzeichen der Stadt Wien eine Reihe von Auszeichnungen erhalten. Bedeuten Ihnen diese etwas?

Die Kainz-Medaille war für mich ein Ritterschlag. Da habe ich die Freude und den Stolz tief inhaliert. Sehr gefreut habe ich mich auch über den Hersfeld-Preis 1964. Da stand in der offiziellen Begründung – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: wie gut diese Österreicherin doch Deutsch spricht!

Proben zur Aufführung „Prinz Friedrich von Homburg“
„Prinz Friedrich von Homburg“ Proben zur Aufführung des Kleist- Klassikers bei den Salzburger Festspielen. In der Regie von Andrea Breth: Pauline Knof als Prinzessin Natalie, Andrea Clausen als Kurfürstin und Elisabeth Orth als Gräfin Bork

Foto: akg-images / Marion Kalter

Der jetzige Preis trägt den Dichter im Namen. Haben Sie gerne Nestroy gespielt?

Selten. Als Gerhard Klingenberg Burgtheater-Direktor wurde, habe ich ihm gesagt, dass ich etwas nicht könne, und zwar Nestroy und Raimund, weil ich den Humor nicht hätte. Er war sehr erstaunt. Viele Jahre später sagt mir Peter Zadek, dass er an mir immer meinen Humor so gemocht hätte ... Mit Nestroy und mir ist es trotzdem nicht viel geworden.

Welche Privilegien bringt es mit sich, wenn man zur Doyenne des Burgtheaters ernannt wird?

Man wird nicht rausgeschmissen. Doyenne bleibt man bis zum Ende, insofern passt der Lebenswerk-NESTROY schon ganz gut. Als mein Onkel Paul Kammerschauspieler wurde, haben ihn in Wieselburg die Leute gefragt: „Na, was bekommen S’ denn dafür?“ Und mein wunderbarer Onkel hat geantwortet: „Nix, einmal das Ensemble. Das war kein und jetzt halts die Goschn.“ Ein Privileg ist tatsächlich, dass ich nicht gekündigt werden kann.

Elisabeth Orth in „Iphigenie auf Tauris“
„Iphigenie auf Tauris“ 1977 spielte sie in der Inszenierung von Adolf Dresen im Akademie- theater die Titelrolle im Drama von Johann Wolfgang von Goethe. Für Elisabeth Orth eine besonders prägende Erfahrung.

Foto: Elisabeth Hausmann/Quelle: KHM Verband/Theatermuseum

Ist damit auch verbunden, dass Sie, sollten Sie in ferner Zukunft sterben, einmal ums Burgtheater getragen werden?

Das ist freiwillig und muss dekretiert werden. Meine Mutter hat sich das zum Beispiel verbeten, sie wollte ausschließlich in Grinzing aufgebahrt werden, um von „ihren“ Grinzingern Abschied zu nehmen. Ich habe einmal, als mich der Teufel geritten hat, zu meinem Enkel gesagt, dass ich ihm schon ein klasses Begräbnis bieten und mich herumtragen lassen werde. So weit bin ich gediehen, habe aber noch nichts verfügt.

Heuer wurde zum ersten Mal der Elisabeth-Orth-Preis verliehen. Er ging an Birgit Minichmayr für ihre Darstellung der Maria Stuart. Sind Sie mit dieser Wahl einverstanden?

Und wie! Ich habe ihr auch gleich eine richtige Eloge auf Tonband geschickt. Die nachkommenden Preisträgerinnen und Preisträger sollten sich an Birgit Minichmayr ein Beispiel nehmen. Für ihren Einsatz, ihren frechen Mut und ihr bestes Österreichertum, das sie aber nicht vor sich herträgt. Glückwunsch!

Fast alle Mitglieder Ihrer Familie
sind Schauspielerinnen und Schauspieler oder haben zumindest etwas mit Theater zu tun. Gibt es ein entsprechendes Gen?

Das habe ich mich oft gefragt. Ich glaube nicht. Für mich war die Tatsache, dass ich diese berühmten Eltern hatte, immer eine Belastung. Auf die Gene würde ich husten, wenn es sie gäbe. Man muss sich befreien und benötigt doppelt soviel Energie. Mich hat das in meinen Anfängen viele Nerven und Selbstzweifel gekostet. Als ich nach dem Ende des Reinhardt Seminars nach München ging, wurde ich von einer Regieassistentin mit dem Satz begrüßt: „Um Gottes willen, noch ein Prominententöchterl!“ Da kannte ich noch nicht einmal das Ensemble. Das war kein schöner Gruß, aber wir hatten das bald überwunden und sind gute Freundinnen geworden.

Elisabeth Orth mit Sohn Cornelius Obonya
Mit Sohn Cornelius Obonya 2003 bei der Verleihung des Schauspielerringes im Theatermuseum.

Foto: picturedesk.com

Haben Sie den Nachnamen Ihrer Großmutter mütterlicherseits auch deshalb angenommen, um den Hörbiger- und Wessely-Vergleichen zu entgehen?

Natürlich. Auf die Idee kam eigentlich meine Mutter, mit der ich das Thema besprochen habe. Elisabeth Orth. Ich dachte mir, das klingt gut, wunderbar. Meine Mutter erklärte mir dann, woher der Name stammt. Die Familie Orth lebte in Grein an der Donau, und sie waren Milchmeier. Das sei, so meine Mutter, eine Bauernwirtschaft, die nur eine Kuh habe, deren Milch an ein einziges Milchgeschäft in Wien gehe.

Standen Sie je mit Ihren Eltern auf der Bühne?

Ja – in „Fast ein Poet“ von Eugene O’Neill, von dem es auch eine TV-Aufzeichnung gibt. Nach dem von meinem Vater gespielten Cornelius Melody habe ich meinen Sohn Cornelius genannt.

Vor dem Besuch des Max Reinhardt Seminars haben Sie eine Ausbildung zur Cutterin absolviert und Sprachen studiert. Hätte es also eine Alterative zum Beruf der Schauspielerin gegeben?

Ich habe sie wohl gesucht, aber das resultierte aus den Selbstzweifeln. Bis zu dem Augenblick, an dem ich meinen Eltern eröffnet habe, dass ich in zwei Wochen am Reinhardt Seminar beginnen würde. Dieser Coup ist mir gelungen; dass ich mich das getraut habe, halte ich bis heute für meinen Emanzipationspunkt.

Grillparzer-Ring Überreichung an Elisabeth Orth
Vielfach ausgezeichnet Bundesminister Fred Sinowatz überreichte ihr 1979 den Grillparzer-Ring.

Foto: akg-images / brandstaetter images/Votava

Wären sie denn dagegen gewesen?

Nein, von ihnen kam der schöne Satz: „Wir werden sowieso bald wissen, ob du begabt bist, denn alle deine Professoren sind Kollegen von uns.“ Das war mir klar, ich fühlte mich dennoch frei. Ich lernte in der Ausbildung auch meinen Körper kennen, was erlösend für mich war, denn mit seinem Körper ist man ja doch lebenslang verbandelt.

Der Erfolg kam recht schnell. Welche Rollen Ihres großen Repertoires haben Sie besonders beeinflusst?

Iphigenie auf Tauris“. Adolf Dresen, der aus der DDR stammte, führte Regie und hat mit uns textlich wirklich Goldgräber- arbeiten geleistet. Er hat mir Goethe zum Freund gemacht.

Paula Wessely und Attila Hörbiger in „Fast ein Poet“ von Eugene O'Neill im Akademeitheater.
„Fast ein Poet“ Mit diesem Stück von Eugene O’Neill ging Elisabeth Orth 1967 gemeinsam mit ihren Eltern auf Tournee. Das Foto zeigt Paula Wessely und Attila Hörbiger bei einer Aufführung von „Fast ein Poet“ 1958 im Akademietheater.

Foto: brandstaetter images/Barbara Pfl/Süddeutsche Zeitung Photo

Sie haben mit den namhaftesten Regisseuren gearbeitet. Wen
haben Sie vordringlich geschätzt?

Im Grunde wenige. Eine große Liebe war Hans Lietzau, noch früher Heinz Hilpert, und natürlich Andrea Breth. Gut gearbeitet habe ich mit den meisten, aber diese drei waren meine Erwecker.

Bis heute äußern Sie sich gesellschaftspolitisch. Wie gelingt es Ihnen, aktuell nicht zu verzweifeln?

Indem ich mir die Verzweiflung nicht leiste, weil sie schädlich ist und sich schnell in einem einbetoniert. Was die Politik betrifft, muss man sich in vielem eine Art Widerstand aufbauen und den auch beibehalten. Die Zustände sind eben manchmal so, dass man etwas sagen muss.

Vor allem kämpfen Sie gegen Antisemitismus und Rassismus. Warum sind Ihnen diese vordringlich?

Weil sie die miesesten sind. Und nicht auszurotten. Ich habe vor vielen Jahren Dachau besucht und Dinge gesehen, die heute nicht mehr zu sehen sind. Einen Haufen Brillengläser, Zahnprothesen, einen Koffer voller Frauenhaare. Für alles, was man gehört hatte, gab es plötzlich Beweise. Heute sterben uns die Zeitzeugen weg, umso wichtiger sind Bücher, in denen Überlebende berichten. Solche Dokumente sind lebenswichtig, damit das beispielhaft nicht mehr passiert.

Elisabeth Orth und Larissa Fuchs
„Blaue Spiegel“ Uraufführung des Dramas von Albert Ostermaier im Berliner Ensemble 2009. Elisabeth Orth und Larissa Fuchs in der Regie von Andrea Breth.

Foto: imago images/POP-EYE

Wenn man von Rassismus spricht, ist sehr oft auch gemeint, dass
die Lebensrealität von Menschen nicht öffentlich abgebildet wird. Momentan bemüht sich das Theater sehr um Diversität. Gelingt dies ausreichend?

Es geht um Sichtbarkeit und damit vor allem um People of Color. Wenn das als Beispiel genommen wird und gesellschaftlich hinausstrahlt, ist es sehr zu begrüßen. Bei einem Krippenspiel muss Maria aber nicht Schwarz sein, es genügt, dass sie Jüdin ist, denn auch das wird gerne verdrängt. Schade, dass es nicht schon früher passiert ist, aber wenn Diversität Schule macht und eine Selbstverständlichkeit wird, bin ich glücklich. Wir sollten aber auch die Asiaten nicht vergessen, von denen man in meiner Jugend noch als „gelbe Gefahr“ sprach.

Theater sei „ein wunderbarer Traum“, sagten Sie einmal.
Haben Sie vor, diesen in nächster Zeit wieder einmal zu leben?

Ich muss leider auf meine Gesundheit aufpassen. Oberstes Gebot meines Arztes: Ich darf auf die Bühne, hinter die Bühne, aber nicht in Räume, in denen sich viele Leute befinden. Das wäre für mich gefährlich. Vor allem: Ich habe keine Lust aufs Sterben!

Zur Person: Elisabeth Orth

1936 in Wien geboren, absolvierte sie das Max Reinhardt Seminar. Nach ersten Engagements am Volkstheater und dem Münchner Residenztheater debütierte sie 1965 als Luise in „Kabale und Liebe“ am Wiener Burgtheater, dessen Ensemble sie seit 1969 angehört. 2014 wurde sie zur Doyenne ernannt. 1995–1999 spielte sie an der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin, ab 1969 war sie regelmäßig bei den Salzburger Festspielen zu Gast. Ihr Repertoire umfasst ein enormes klassisches und modernes Spektrum. 2015 wurde sie für „Die Unverheiratete“ als beste Schauspielerin mit dem NESTROY ausgezeichnet. Sie fungierte viele Jahre als Präsidentin der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich.