Erika Pluhar: Wahrhaftige Worte
Erika Pluhar hat aus der Interpretin eine Künstlerin gemacht. Bis heute führt sie täglich Buch über ihr Leben und entwirft schreibend das Leben anderer. Humorvoll. Klug. Streitbar. Das ist sie. Und sie verfügt über eine Stimme, die man auch ob des Gesagten hören möchte.
Ungläubiges Staunen. Gefolgt von offenen Neidbekundungen. Solches erntet man, wenn man seinen Freunden beiläufig erzählt, dass man demnächst Erika Pluhar zu besuchen gedenkt. Und schon wird gesummt und gesungen: „Es war einmal, und es war einmal schön ... da ist nichts zu erklären, und niemand hat Schuld ...“
Das Chanson, 1975 von André Heller für sie geschrieben, war uns spätpubertären Möchtegern- Existenzialisten Trost bei erstem Liebeskummer. Die rauchige Stimme, das verklärte Timbre, damit konnten sich beide Geschlechter identifizieren. Heute singt sie das Lied kaum noch, und wenn doch, versieht sie es mit lockeren Sprüchen, macht sich gemeinsam mit ihrem Publikum einen Spaß daraus, den Pathos der Textzeilen zu entlarven. „Aber ja, es ist mein erfolgreichstes Lied“, sagt Erika Pluhar, manchmal sängen es ihr wildfremde Menschen beim Spaziergang im Wienerwald entgegen.
Wir sitzen im Wohnzimmer ihres wunderbar gealterten Hauses in Döbling, Kaffee wird aufgetragen, der Gugelhupf bleibt unberührt, so kurz nach den pudergezuckerten Weihnachten. Es wundere sie, dass sie bei oben beschriebenen Freunden noch immer solche Reaktionen hervorrufe ,„weil ich mich durch das Altwerden ja nicht mehr so öffentlich fühle“.
Zur Person: Erika Pluhar
1939 in Wien geboren, Schauspielstudium am Max Reinhardt Seminar, von 1959 bis 1999 Ensemblemitglied im Burgtheater. Daneben zahlreiche Film- und TV-Rollen. Seit Anfang der 1970er-Jahre auch als Sängerin arriviert. Schon immer schreibend tätig, erschien 1981 mit „Aus Tagebüchern“ ihr literarisches Debüt. Bis heute arbeitet Erika Pluhar erfolgreich als Autorin und wurde dafür u.a. 2009 mit dem Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln ausgezeichnet. Aktuell erschienen: „Hedwig heißt man doch nicht mehr“.
Sie habe sich auch nie in die Öffentlichkeit gedrängt. „Dass man mich kennt, war nie Hauptimpuls meines Tuns, sondern das Tun war mir wichtig.“ Alles andere ist wohl als Nebenprodukt dieses Tuns zu betrachten, mit dem sie genauso pragmatisch umgeht wie mit vielem anderen in ihrem Leben. „Ich war nie bestürzt, wenn mich niemand erkannte, und ich war nie bestürzt, wenn mich jemand grüßte.“
Das Wohlwollen des Publikums könne man weder als Voraussetzung annehmen, noch sollte es Grund dafür sein, auf die Bühne zu gehen. „Ich bin auch nicht Schauspielerin geworden, weil ich geliebt werden wollte. Sondern ich habe mich darum bemüht, das zu vertreten, was ich mache. Ich werde auch, falls ich einmal nicht mehr bei Kräften sein sollte, nicht als geriatrisches Restl im Rollstuhl auf die Bühne kommen, sondern zu Hause bleiben. Es gibt Bühnenmenschen, die ohne Bühne nicht existieren können, weil sie davon beatmet werden. Ich glaube sagen zu dürfen, dass das bei mir nicht der Fall ist. Ich will mitteilen. Das ist eines meiner wesentlichen Worte. Miteinander etwas teilen. Und da ich keine Schauspielerin mehr bin, ist es für mich besonders wesentlich, etwas zu teilen, was mit meinen Inhalten zu tun hat. Ich spiele keine Rolle, sondern ich bin.“ Musikerin, Textdichterin, Sängerin, Autorin.
Die Welt bedeutet ihr die Welt
Bis dorthin war es ein langer Weg. Dazwischen war sie ein Star – auch wenn sie mit dem Wort bis heute nichts anzufangen weiß und sie es schon gar nicht auf sich beziehen möchte. „Ich war am Theater und habe mich sehr bemüht, gut zu sein. Durch den Film ‚Bel Ami‘ von Regisseur Helmut Käutner bin ich plötzlich in die Rolle der Femme fatale gekommen. Später habe ich die Desdemona in ‚Othello‘ gespielt. Da wollte mich der Regisseur, Fritz Kortner, blond haben. Ich wurde dann immer blonder und kurzfristig eine Sexbombe“, kann sie es retrospektiv selbst kaum glauben.
Ich spiele keine Rolle, sondern ich bin.
Erika Pluhar, Künstlerin
Die Nachteile dieser Art von Öffentlichkeit, befeuert durch zwei turbulente Ehen, wurden ihr spätestens dann bewusst, als sich Peter Vogel, zu dieser Zeit ihr Partner, aber verheiratet mit Kollegin Gertraud Jesserer, umbrachte. „Als die Traudl und ich in München hinter Peters Sarg hergegangen sind, haben die Fotografen ringsum die Gräber zertreten, um ein Bild von uns beiden zu bekommen.“
Damals sei ihr klar geworden, dass diese Art von Öffentlichkeit nicht zu ihrem Leben gehöre – nicht dazu gehören darf. Auf vieles schaue man mit Traurigkeit zurück, auf manches auch mit Schuldgefühlen, ist Erika Pluhar ehrlich zu sich selbst. „Womit ich aber sehr einverstanden bin, ist, dass ich im Fernsehen keinen Scheiß von mir sehe. Ich habe irgendwie instinktiv alle Blödheiten immer abgelehnt.“
1999, zu ihrem 60. Geburtstag, nahm sie mit dem Stück „Die Kinder der Sonne“ Abschied von der Bühne. „Und das sehr gerne“, wie sie sagt. „Mir haben die Bretter auch nie die Welt bedeutet, sondern mir bedeutet die Welt die Welt.“ Von da an konnte sie das Schreiben noch stärker forcieren.
Wut und Verzeihen
Denn geschrieben hat sie immer. Bis heute. Jeden Tag. Sie habe den Krieg erlebt, sei durch die Bombenabwürfe auf Wien traumatisiert gewesen und nach 1945, als sie zur Schule ging, unglaublich glücklich darüber, lesen und schreiben lernen zu können. Ohne Bomben.
„Damals habe ich schon begonnen, Geschichten zu schreiben. Das Wissen, dass man Leben auch erfinden kann, ist der Grund, dass ich erst Schauspielerin und dann Autorin geworden bin. So ist mein Beruf entstanden.“ Ihre erste Publikation waren Tagebuchauszüge. Das darauffolgende Romandebüt wurde von einer ehedem gefürchteten Literaturkritikerin zerrissen.
Erika Pluhar hat es nicht geschadet. „Im Gegenteil – durch diese Aufmerksamkeit ist dieses Buch bis heute mein meist verkauftes.“ Sie sei überhaupt eine Verzeiherin. „Bei allen Schwierigkeiten, die ich auch mit meinen Männern hatte, sind alle gut in meinem Herzen geblieben. Ich hege keinen Groll gegen jemanden.“
Weniger Gnade lässt sie indes walten, wenn ihr politisch etwas gegen den Strich geht. Entfacht habe dieses Feuer ihre Geschichtsprofessorin am Gymnasium, Eleonore Zimmermann. „Sie hat mich zur Antifaschistin gemacht – gemeinsam mit Stella Klein-Löw, einer bekannten jüdischen Sozialdemokratin, die Direktorin an diesem Gymnasium war. Richtig politisiert hat mich dann die Nelkenrevolution in Portugal.“ Fortan äußerte sich Erika Pluhar immer dann, wenn es ihr vonnöten erschien. Meist zu Themen, die das hiesige Volksempfinden in Rage versetzten. Bequem gemacht hat sie es sich jedenfalls nicht. „Dafür habe ich Briefe bekommen, in denen stand, es geschieht mir recht, dass meine Tochter gestorben ist, weil ich gegen den Jörgl bin. Seither weiß ich, was in den Menschen schlummert.“ Eigentlich wusste sie es schon früher, denn bereits die Heirat mit André Heller brachte ihr zahlreiche Briefe ein, versehen mit Kot und „Saujud“-Beschimpfungen.
Die Menschheit könne sie noch immer sehr bestürzen, meint sie auch angesichts der Pandemie- Demos und der Wurmmittel-Äußerungen des Herrn Kickl. „Den Glauben an die Menschheit repariert dann immer wieder mein Publikum.“
In nächster Zeit habe sie „singend und lesend ein paar Termine“, von denen sie hoffe, dass sie nicht abgesagt würden. Eine Tournee wolle sie nicht mehr machen, weil ihr die Logistik des Reisens zunehmend nicht behage. „In mein geliebtes Portugal, an den Atlantik, möchte ich aber unbedingt noch einmal kommen.“ Leuchten in den Augen.
Hat sie einen Zustand zur Zahl 83? „Ja, schon. Es gibt so vieles in meinem Leben, wo ich ‚nie mehr‘ und ‚vorbei für immer‘ sagen muss. Ich glaube aber nach wie vor, dass Jugend keine Frage des Alters ist. Man muss jung fühlen können, neugierig sein. Eigentlich könnte es mir schon wurscht sein, was auf diesem Planeten geschieht. Ist es aber nicht!“