Es geht nur miteinander: Die große Pension Europa Show
Weil man ja ohnehin nie genug aktionstheater ensemble haben kann, bringt Martin Gruber nun einen ebenso gnadenlosen wie humorvollen Doppelabend auf die Bühne. „Die große Pension Europa Show“ ist bis 17. Januar im Werk X zu sehen.
Lieber die Vorhänge bis zum letzten Zentimeter zuziehen oder die Fenster weit aufreißen, obwohl es hin und wieder unangenehm zieht? Sowohl das eine als auch das andere passiert in der „Pension Europa“. Beide Ansätze können Strategien sein, um auf aktuelle gesellschaftliche Probleme zu reagieren, sagt Martin Gruber, Theatermacher und Gründer des aktionstheater ensembles. Zieht man sich zurück, kocht sein eigenes Süppchen und legt in aller Ruhe die Route für den nächsten Ego-Road-Trip fest oder entscheidet man sich doch für ein Miteinander?
Sie haben es vermutlich bereits erraten, die „Pension Europa“ ist nicht wirklich eine Pension, sondern ein von Martin Gruber und seinem Team erdachtes Theaterstück, das im Rahmen des Abends „Die große Pension Europa Show“ im Werk X in aktualisierter Form wieder auf die Bühne kommt. Martin Gruber hat seiner 2014 uraufgeführten Produktion eine Frischzellenkur verpasst. Wobei er es in einem kürzlich erschienenen Interview lieber folgendermaßen formuliert: „Frisch ist wahrscheinlich das falsche Wort, gnadenloser wäre wohl das bessere Adjektiv.“
Wer ein wenig mit den Arbeiten des aktionstheater ensembles vertraut ist, wird zudem sofort erkennen, dass sich hinter dem Stücktitel „Die große Pension Europa Show“ ein weiteres Stück verbirgt, nämlich der 2022 uraufgeführte Abend „Die große Show“. Warum er sich dazu entschieden hat, die beiden Stücke zu einem Theaterabend zu verbinden, möchten wir von Martin Gruber wissen. Er antwortet: „Ich habe im Laufe meines Lebens immer wieder die Erfahrung gemacht, dass meistens, wenn etwas im Argen lag, das daher rührte, dass sich Menschen nicht wahrgenommen fühlten. Egal, ob es dabei um Beruf, Privatleben oder die Gesellschaft als solches ging. Das Gefühl, nicht gesehen zu werden, ist wichtiger Bestandteil beider Stücke.“
Es geht nur miteinander
Die bereits erwähnte Dichotomie zwischen Ego-Trip und gemeinschaftlicher Anstrengung drückt sich in „Die große Show“ in der Darstellung einer Ellenbogengesellschaft aus, in der „an der Oberfläche alle ganz nett sind und gute Manieren haben“, so Gruber. Unter der Oberfläche brodelt es allerdings – „da geht es um einen knallharten Überlebenskampf“. Für den Theatermacher ist klar: Es geht nur miteinander. Lachend fügt er hinzu: „Diese beiden Pole versuchen wir auch im Theater zu spiegeln. Geht es um die Ego-Show einer einzelnen Schauspielerin bzw. eines einzelnen Schauspielers oder um das Ensemble? Was uns angeht, steckt die Antwort bereits im Namen der Kompanie.“ Das hält ihn jedoch nicht davon ab, narzisstische Verhaltensmuster auf die Bühne zu bringen. Ganz im Gegenteil, sieht er darin doch ein großes komisches Potenzial. Es ist das für das aktionstheater ensemble so wichtige Lachen, das einem auf halben Weg im Hals stecken bleibt, das auf diese Weise evoziert wird.
„Humor schafft Abstand und die beste Form von Humor ist meiner Meinung nach die Selbstironie“, bringt es Martin Gruber auf den Punkt. Warum er es so wichtig findet, über sich selbst lachen zu können, hat, wie er hinzufügt, einen ganz einfachen Grund: „Von mir selbst kann ich am meisten erzählen, daher auch über meine eigene Blödheit viel besser sprechen als über die von anderen. Wobei es natürlich Überlappungen gibt, sonst würde man als Zuschauer*in über die Dinge, die auf der Bühne passieren, nicht lachen.“
Außerdem schaffe Selbstironie auch eine gewisse Distanz zu sich selbst, ergänzt der Theatermacher, der das aktionstheater ensemble 1989 gegründet hat. „In dem Moment, in dem ich über mich selbst lache, distanziere ich mich von meinen eigenen Problemen. Man entfernt sich ein bisschen vom Wald und kann dadurch die Dinge wieder etwas anders sehen. Plötzlich fragt man sich: Worum geht es wirklich?“ Außerdem liegen für den Theatermacher Komödie und Tragödie ohnehin immer ganz nah beieinander.
Hoffnung als Ermächtigung
Zur DNA des aktionstheater ensembles gehört außerdem, mit nur wenig zeitlichem Abstand auf aktuelle gesellschaftliche Zustände zu reagieren. Allerdings ist es auch eine Grundintention der Theaterkompanie, die Stücke so zu gestalten, dass sie über die aktuelle politische Situation hinaus einen Mehrwehrt bieten, merkt Martin Gruber an. „Es geht immer auch um Grundkonflikte, die wir allerdings ins Jetzt holen möchten. Theater hat die Möglichkeit, relativ schnell auf aktuelle Problemstellungen zu reagieren.“
Ob „Die große Pension Europa Show“ das Publikum, trotz der komplexen Themen, mit einem Hoffnungsschimmer wieder in die kalte Wiener Nacht entlässt? Den gibt es, so Gruber, allerdings geht es für ihn um eine Form der Ermächtigung und nicht darum, das Publikum mit Lösungsvorschlägen auszustatten. Die Kraft von Theater liegt für ihn eher darin, ein Gefühl dafür zu vermitteln, dass es nur gemeinsam geht. Womit wir auch wieder beim zentralen Thema von „Die große Pension Europa Show“ angekommen wären.
Bevor es für den Theatermacher wieder in die letzten Proben vor der Wien-Premiere des Doppelabends geht, möchten wir aber noch wissen, wie er die Arbeit des aktionstheater ensembles Menschen erklären würde, die noch nie ein Stück der freien Theaterkompanie gesehen haben. „Ich würde zuallererst sagen: Ich glaube – oder hoffe –, es hat etwas mit dir zu tun. Das Publikum dort abzuholen, wo es ist, ist für mich der wichtigste Punkt. Es geht bei unseren Stücken nicht darum, etwas richtig oder falsch zu verstehen, sondern um die Gefühle, die das Gehörte und Gesehene vor dem eigenen Erfahrungshorizont auslöst.“
Zur Person: Martin Gruber
Der gebürtige Dornbirner studierte Schauspiel und gründete 1989 die Theaterkompagnie aktionstheater ensemble, mit der er an zahlreichen Häusern in Österreich, Deutschland und der Schweiz gastierte und an diversen internationalen Festivals teilnahm.