Harald macht den Ludwig
Ist Operette noch sinnvoll? Warum wird Annette Dasch auf Zeitreise geschickt? Und wieso endet sie bei Harald Schmidt? Alle Antworten zu „Die Dubarry“, der ersten Premiere der Ära de Beer, lesen Sie hier.
Bloß nicht versuchen, witziger zu sein als er. Eine Grundregel beim Treffen mit Humorlegenden. Und dann das. Die große Metallschiebetür mitten in der Halle der Probebühne der Volksoper geht auf, und der Weihnachtsmann steht vor uns. Es könnte auch die langgezogene, schlankere Variante von Michael Niavarani sein. Aber beide Vergleiche wären Bodyshaming, und das tut man nicht.
Also grüßen wir den netten älteren, großgewachsenen, weißbebarteten Mann einfach freundlich. Harald Schmidt ist Teil der ersten Premierenproduktion der Ära Lotte de Beer: „Die Dubarry“. Millöckers Operette (in der Berliner Fassung aus dem Jahr 1931) besingt den Aufstieg der Verkäuferin Jeanne Bécu zur späteren Gräfin Dubarry und Mätresse von König Ludwig XV.
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Eine schlaue Programmierung. Damit zeigt Lotte de Beer allen Theateruntergangspropheten, die geunkt haben, dass de Beer mit experimentellen Opernproduktionen die Volksoper versenken werde, die lange Nase. Wir stehen neben jener Fotowand, vor der gerade Schmidt posiert, und reden über das Operetten-Genre an sich. „Für mich“, sagt die gebürtige Niederländerin, „ist die Operette genau jene Kunstform, die wir jetzt dringend brauchen – weil ich glaube, dass es nichts Wichtigeres und Gesünderes gibt, als die entsetzliche Realität weglachen zu können.“
Ich arbeite gerne mit Menschen zusammen, die was können."
Harald Schmidt über die Arbeit am Theater
Jan Philipp Gloger wird Regie führen. „Er ist eine der klügsten Stimmen in Sachen Operetten-Inszenierungen, die es derzeit gibt. Diese Verbindung von Humor und Musiktheater beherrscht er, er ist ein Handwerker mit sehr analytischen Ideen, und er liebt die Wiener Operette.“
Der Nürnberger Schauspielchef hat sowohl am Theater als auch an der Oper bewiesen, wie man intelligentes Unterhaltungstheater machen kann. Er hat Wagner inszeniert, Mozart, Handke, Jelinek (eine großartige Version von „Rechnitz“ in Nürnberg), Horváth und, und, und … zuletzt einen „Figaro“ in Zürich, dessen Setting er in eine hochherrschaftliche Villa verlegte, und eine großartige „Csárdásfürstin“ (ebenfalls in Zürich, aber bereits 2020).
Annette Dasch sang damals die Titelpartie der Varietésängerin Sylva Varescu, die musikalische Leitung hatte Lorenzo Viotti inne. Letzterer werkelt gerade auf der Probebühne der Wiener Staatsoper gemeinsam mit Calixto Bieito an einem spannenden Mahler-Projekt (siehe Story ab Seite 22), er ist also nicht mit dabei – dafür Annette Dasch, eine der führenden Sopranstimmen. Kai Tietje dirigiert, ihn kennen wir zum Beispiel von der „Csárdásfürstin“.
Er wird den Swing der Berliner Fassung mit dem Wiener Charme musikalisch aufladen.
Lotte de Beer, Direktorin Volksoper Wien
Das Leading Team verspricht einen großartigen und unterhaltsamen Operetten-Abend. Gleich werden uns Annette Dasch, Jan Philipp Gloger und Harald Schmidt selbst erzählen, warum wir uns freuen dürfen. Davor aber noch kurz die Beantwortung jener Frage, die nach dem Termin am häufigsten gestellt wurde: Wie ist denn der Schmidt so?
Ehrlich? Keine Ahnung. Es ist ja nicht so, dass Schmidt nicht genau weiß, was er Journalisten wie und wann liefern muss. Ein Profi eben. Aber in der kurzen Zeit unseres Treffens war er: beobachtend, nett, höflich, professionell – und ausgestattet mit einem beeindruckenden Theaterwissen. Oder, falls Sie Esoteriker sein sollten: Harald Schmidt hat eine richtig gute Aura. Lachen Sie nicht. Es ist ernst gemeint.
Herr Schmidt, wie fühlt es sich an, wenn man Ludwig XV. spielen darf?
Harald Schmidt: Toll. Die Szene ist nicht sehr lang, und man muss einen Zugang finden, weil das Publikum mich ja immer über meine Fernsehfigur definiert. Es geht also nicht darum, eine historische Genauigkeit zu treffen, sondern das im Rahmen dieses Operettengestus zu bedienen, und da haben wir heute eine tolle Probe gehabt.
Finden Sie das auch, Herr Gloger?
Jan Philipp Gloger: Ja. Er ist ja ein ausgebildeter Schauspieler, aber auch ein durchtriebener Selbstperformer. (Lächelt.) Im Ernst: Ich komme aus dem Ensembletheater, es hat eine inhaltliche Begründung, Harald Schmidt zu besetzen. Den König meinen alle zu kennen, aber keiner kennt ihn wirklich. Und mit so einer Figur zu spielen, dessen Bild an jeder Wand hängt, ist großartig.
Die Rolle des Ludwig ist ein Bariton, singen Sie eigentlich auch?
Harald Schmidt: Selbstverständlich. Aber da sind wir noch am Basteln. Es ist nicht viel, was ich singe, aber es sollte in der Tonart sein, in der die anderen auch singen. Es ist eher chorisch …
Sehen Sie den Blick von Annette Dasch?
Annette Dasch: (Grinst.) Ach, ich habe ihm sogar freiwillig und gerne ein paar Takte abgegeben. Ich finde ja sowieso, dass viel mehr Menschen singen sollten. Schauspieler, Publikum – am besten sollten alle alles machen …
Jan Philipp Gloger: … aber das ist ja das Motto dieses Genres: singende Schauspieler und schauspielende Sänger.
Annette Dasch: Wir Opernsänger sind reduziert auf das Reproduzieren. Ich habe in meinem Leben bislang nur zwei echte Uraufführungen gemacht. Wir müssen die ollen Kamellen immer rausholen und ihnen neues Leben einhauchen. Die Operette hat den Vorteil, dass man damit viel freier und auch spielerischer umgehen kann, weil sie nie den Absolutheitsanspruch hat, ein Kunstwerk zu sein wie die Oper, sondern auch aktuelle Bezüge in sich trägt.
Harald Schmidt: Operette passt einfach perfekt in unsere Zeit. Man kann in dem, was als Realität bezeichnet wird, sehr viele Operetten-Elemente finden. Unser Thema ist – feministisch gesehen: Was bedeutet es, Frau zu sein? Heiratet die Dubarry sich nach oben? Wird sie benutzt?
Reizt es Sie bei diesem Thema eigentlich, politisch inkorrekt zu werden?
Harald Schmidt: Das wäre zu ausrechenbar. Da haben wir dann einen Zehnsekundenskandal, mit dem ich eigentlich nur die notleidende Presse bediene. Das wäre zwar nett von mir, aber da bin ich doch Anhänger des Satzes „Seit die Phönizier das Geld erfunden haben, erwarte ich keinen Dank mehr“. (Lacht.)
Annette Dasch: Bei der Dubarry geht es ja auch um die Frage, wie man überhaupt überleben kann.
Und wie geht das?
Annette Dasch: Na ja, essen und trinken wäre mal nicht schlecht. (Lacht.) Aber dafür braucht man Geld.
Jan Philipp Gloger: Man könnte auch sagen: indem man sich einerseits abhängig macht und anderseits die Bälle in die Luft wirft. Die Dubarry ist Opfer und Täterin gleichzeitig. Es ist nicht so einfach. Das Thema des Bildes spielt eine ganz wesentliche Rolle: das Bild, in das sie passt und aus dem sie herausfällt. Wir planen eine gigantische Zeitreise mit der Frage: Wie wird in verschiedenen Zeiten die Rolle der Frau gesehen? Der Abend wird durch diese Reise auch eine opulente Kostümschlacht. Wir haben das Libretto dafür an der einen oder anderen Stelle dezent angepasst. Aber es ging – erstaunlicherweise – ohne nennenswerte Änderungen. Es gibt vier Stationen: Wir beginnen in der Gegenwart und enden in der Vergangenheit – bei Herrn Schmidt in Versailles. Wir werden so richtig in die Vollen gehen, dafür ist „Die Dubarry“ vom Text und von den Melodien einfach perfekt. Ich erzähle gerne Geschichten, die man versteht. Ich hoffe, dass wir einen Abend kreieren, der zugänglich ist. Wir wollen den Kitsch und die Klischees benutzen, um etwas über unsere Realität zu erzählen.
Kann man sich als Theater einen Harald Schmidt überhaupt leisten?
Harald Schmidt: Es ist so: Das Theater schlägt mir eine Gage vor, und ich bin einverstanden. Ich arbeite einfach gerne mit Menschen zusammen, die was können – so wie Frau Dasch oder Herr Gloger –, weil man auch besser wird, wenn man mit jemandem spielt, der gut ist. Beim Fernsehen herrscht hingegen diese Follower-Kultur, wo man sagt: Der kann zwar nichts, aber er hat drei Millionen Follower. Ich habe bei diesem Projekt auch zugesagt, weil es von der Volksoper kam und weil es hier eine neue, sehr faszinierende Intendanz geben wird. Die entsprechenden Zärtlichkeiten, die aus der Wiener Bevölkerung zu erwarten sind beim Start eines neues Hauses, dieses Wohlwollen, von dem man getragen wird, das ist genau das, worauf ich Lust habe. (Lacht schallend.)