Karpatenflecken: Alle sind eins, und alle sind anders
Oft verschoben und ab Mai auf der Bühne des Burgtheater-Vestibüls: Jetzt inszeniert Regisseurin Mira Stadler das Stück „Karpatenflecken“ von Autor Thomas Perle. Tauchen wir ein in ein Stück österreichischer Familiengeschichte.
Familien können ziemlich kompliziert sein. Stellen Sie sich vor, Sie sind in Rumänien aufgewachsen und gehören zu einer deutschen Minderheit. Sie erleben Könige, Faschismus, Kommunismus und auch noch zwei Weltkriege.
Und dann werden in der Familie auch noch ganze drei Sprachen gesprochen – Rumänisch, Ungarisch und Zipserdeutsch. Ein Patchwork der Identitäten quasi. Noch mitgekommen?
Was zu viel für eine generationsübergreifende Geschichte wirkt, ist Realität für viele karpatendeutsche Familien – eine Minderheit in Rumänien, von der viele nicht wissen. Das kann sich ändern: Ab Mai 2023 kommt die Lebenswelt der Karpatendeutschen auf die Bühne des Vestibüls im Burgtheater.
Patchwork österreichischer Geschichte
Aber worum geht’s? „Karpatenflecken“ ist eine Familiengeschichte. Drei Generationen: Großmutter, Mutter, Tochter. Alle gehören einer deutschen Minderheit an, deren Vorfahren sich im 18. Jahrhundert im Norden Rumäniens angesiedelt haben, um in der Forstwirtschaft und im Bergbau zu arbeiten.
Ihre Familiensprache: Zipserisch, ein altösterreichischer Dialekt. Neben Rumänisch und Ungarisch wird auch dieser im Stück eingebaut.
Aber keine Angst: Man versteht alles. In der Inszenierung selbst wird viel übersetzt, mit Zipserisch wird als Kunstsprache umgegangen.
Das Schwierige daran, Mehrsprachigkeit auf die Bühne zu bringen?
„Ich bin auch zweisprachig aufgewachsen, deshalb ist das für mich nicht so ein großes Ding“, so die Regisseurin Mira Stadler, die selbst im slowenischen Teil Kärntens großgeworden ist. „Aber das Schwierigste ist, das Publikum in jeder Sprache zu erreichen und dabei den Plot nicht zu verlieren. Verschiedene Sprachen haben verschiedene Qualitäten. Das alles zusammenzubringen finde ich komplex.“
Bei den Schauspieler*innen wurden aber nicht extra Kenntnisse in Rumänisch, Ungarisch oder Zipserdeutsch vorausgesetzt. „Das wünscht sich der Autor ausdrücklich nicht. Er schreibt, es sind keine Muttersprachler*innen als Schauspieler*innen nötig, und das finde ich auch irgendwie total spannend.“
Stimme einer Minderheit
Im sozialistischen Rumänien geboren, emigrierte der Autor des Stücks, Thomas Perle, als Kind mit seiner Familie nach Deutschland. „Was mich besonders fasziniert, ist, dass es nicht seine Biografie, sondern einfach ein Exempel ist, wo sicher viele Geschichten verschiedener Familien zusammengeflossen sind“, so Regisseurin Mira Stadler. Ein Teil europäischer Geschichte also.
Stadler arbeitet während der Proben eng mit dem Autor zusammen. Er Rumäniendeutscher, sie Kärntner Slowenin – beide aus einer Minderheit stammend, damit war schnell eine Verbindung da. Somit kann sie im Stück viele Gedankengänge Perles nachvollziehen. „Ich glaube, wir verstehen beide die Komplexität von Grenzverschiebungen sehr gut – was das mit den Leuten macht und was das an Störung der Zugehörigkeitsfindung mit sich bringt.“
Die Zusammenarbeit mit ihm macht Stadler dabei richtig Spaß. „Er ist ein sehr genauer Autor, und das merkt man, wenn man Kleinigkeiten aus dem Stück herausnehmen will. Das geht gar nicht, weil jede Szene viele Informationen hat und in sich funktioniert – wie ein lyrisches Gedicht. Wenn man einen kleinen Teil herausnehmen will, dann hat man am Ende das Problem, dass man nichts mehr versteht.“
Ein Fleck Europageschichte
Eine Pandemie später schafft es „Karpatenflecken“, ausgezeichnet mit dem Retzhofer Dramapreis 2019, endlich nach Wien. Uraufgeführt wurde das Stück schon im Deutschen Theater Berlin, jetzt kommt „Karpatenflecken“ erstmals ins Burgtheater. „Ich finde es tatsächlich wichtig, dass das Stück in Wien gespielt wird, besonders an einem so renommierten Haus wie dem Burgtheater. Es ist einfach ein kleiner Teil europäischer Geschichte, der so vielfältig ist.“
Und auch ein Stück Habsburg steckt drinnen. „Wischaudeutsche haben diesen besonderen Bezug zu Österreich, weil sie von Maria Theresia entsandt worden sind.“ Kleine Geschichte, große Probleme
Das Besondere am Stück?
„Dass versucht wird, mit einem kleinen Teil europäischer Geschichte die großen Probleme darzustellen – Nationalismus, Ausländerfeindlichkeit, Identitätsfindung.“ Und dabei alles unter dem Gesichtspunkt „Wo gehöre ich hin?“.
Auf die Frage, was die Regisseurin sich vom Publikum wünscht, überlegt Mira Stadler kurz. „Ein Feingefühl für die Komplexität zu bekommen, was in einer Person an europäischer Geschichte zusammenfließen kann.“ Ein Geschichtsvortrag ist es dennoch nicht. „Es soll trotzdem ein Stück sein, wo man sich reinsetzt und einen guten Theaterabend hat.“
Wir sind auf jeden Fall gespannt.