„I am what I am. And what I am needs no excuses.“ Jeder kennt Gloria Gaynors Selbstermächtigungshymne, die jedoch nicht weiblichem Emanzipationsbestreben geschuldet ist, sondern in Wahrheit schwules Selbstverständnis ausdrückt. Der Song ist in gewisser Hinsicht Dreh- und Angelpunkt des Musicals „La Cage aux Folles“, das bereits als Theaterstück sowie in der Filmversion mit Michel Serrault und Ugo Tognazzi in den Hauptrollen für weltweiten Erfolg gesorgt hatte, ehe es Jerry Herman 1983 in einen musikalischen Zweiakter für den Broadway verwandelte und den Stoff somit zum dritten Mal auf eine bis heute andauernde Welttournee schickte.

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In Wien feierte die Komödie mit inhaltlichem Tiefgang zuletzt 1991 wahre Triumphe. Karlheinz Hackl und Frank Hoffmann schlüpften in der Volksoper 187 Mal in die glamourösen Hauptrollen.

La Cage aux Folles - Szenen einer Ehe
Zaza ist der Star jeder Revue, Georges sorgt hinter den Kulissen für den reibungslosen Ablauf. Sand ins Getriebe kommt erst, als Georges’ Sohn Jean-Michel heiraten will.

Foto: Johannes Ifkovits

Zur Gedächtnisauffrischung kurz die Geschichte: Georges, Besitzer des
Nachtclubs „La Cage aux Folles“ in Saint Tropez, und Albin, der als Travestiekünstlerin Zaza allabendlich für ein volles Haus sorgt, sind seit vielen Jahren ein Paar. Als jedoch Jean-Michel, geliebter Sohn von Georges aus einem heterosexuellen Fehltritt, ausgerechnet die Tochter eines erzkonservativen Politikers heiraten will, gerät die schwule Idylle ins Wanken.

Für deren Geschwindigkeit stellen in der aktuellen Inszenierung an der Volksoper die Vollblutschauspieler und -musiker Drew Sarich und Viktor Gernot ihr Können zur Verfügung. Regie des ambitionierten Coming-out führt erstmalig Melissa King – Fans des Hauses am Gürtel als Choreografin ein Begriff.

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La Cage aux Folles - Szenen einer Ehe
Viktor Gernot

Foto: Karim Khawatmi

Zur Person: Viktor Gernot

Nach dem Studium – Musical, Operette und Chanson am Konservatorium der Stadt Wien – spielte er u.a. in der Premierenbesetzung von „Elisabeth“ im Theater an der Wien und in „Les Misérables“ am Raimund Theater. Erfolgreich als Kabarettist und TV-Entertainer.
Seit Juni 2021 betreibt er mit „Viktor Gernots Praterbühne“ eine eigene Freiluftbühne für Kabarett und Musik.

Aufbruch und Emanzipation

„Das ist meine erste Erwachsenen-Musicalrolle“, sagt Viktor Gernot und schmunzelt. Seine Figur Georges wähnt er etwa im eigenen Alter, 57. Drew Sarich hatte das Stück auf seiner Bucket List und freut sich nun „auf eine große Verwandlung, etwas, das man von mir so noch nie gesehen hat“.

Was macht die ungebrochene Kraft dieses Stoffs aus? „Die Urgeschichte stammt aus den frühen Siebzigerjahren, aus einer Zeit also, in der man sich als Homosexueller auch in Europa eher im Geheimen bewegt hat, weil man sonst seinen Job verloren hätte und von Familie wie Gesellschaft geächtet worden wäre“,erklärt Viktor Gernot.

Komödie ist eine Wissenschaft, die nicht jeder beherrscht, die größte Herausforderung liegt im Timing.

Drew SarichSchauspieler, Sänger und Songwriter

Und dieses Stück hat, wenn auch leicht überhöht, so wohltuend die Normalität eines schwulen Paares dargestellt. Es geht um Liebe, es geht um Eifersucht, um alle Themen, die eine heterosexuelle Beziehung zu hundert Prozent spiegeln.“ Für die damalige Zeit eine Revolution im aufkeimenden Kampf um Gleichberechtigung. „In meiner Heimat Amerika ist das noch immer ein Thema“, ergänzt Drew Sarich. „Auch wenn sich vieles gebessert hat, kostet es viele Schwule bis heute große Überwindung, sich vor ihren Familien zu outen“, stellt er Aktualitätsbezüge her.

Über den Atlantik müsse man dafür gar nicht schauen, meint Viktor Gernot. „Wir haben mit Polen ein Land innerhalb der EU, in dem es lebensgefährlich ist, eine Gay Pride abzuhalten, und wir erreichen in zweieinhalb Flugstunden Russland, wo es lebensgefährlich ist, überhaupt ein schwules Leben zu führen.“ Und es gebe Studien zum Thema Hasskriminalität aufgrund der sexuellen Orientierung, deren Zahlen auch in Österreich besorgniserregend seien. „Ich finde dennoch, dass ein liebevoller und humorvoller Blick auch auf die ernstesten Dinge ein sehr guter Zugang ist“, erläutert Viktor Gernot seine Motivation – „und zwar durchaus mit einem erzieherischen Anspruch.“

Es geht um Liebe, es geht um Eifersucht, um alle Themen, die eine heterosexuelle Beziehung zu hundert Prozent spiegeln.

Viktor Gernot,Schauspieler, Sänger und Kabarettist

Aneignung sexueller Identität?

Nun gibt es unter manchen queeren Schauspielern die Meinung, dass man Schwulen nicht auch noch die homosexuellen Rollen wegnehmen sollte. Warum also spielen hier zwei Heterosexuelle die vielleicht größten Schwulenikonen der jüngeren Theatergeschichte?

„Ich hoffe deshalb, weil wir gut spielen“, antwortet Drew Sarich. „Auch wenn die Welt noch nicht so weit ist, wie wir das in unserer Blase gern hätten, sind wir hoffentlich doch an einem Punkt angekommen, an dem es egal ist, wer was spielt. Ich verstehe die Beweggründe schon, dass man sagt, es gibt für bestimmte Menschen zu wenig Rollen. Aber wenn wir nun bei Auditions anfangen würden, die Leute zu fragen, ob sie non-binär sind, könnten wir nicht mehr arbeiten.“

Viktor Gernot findet die Diskussion zum Teil absurd. „Unser Beruf ist per se eine Aneignung. Das Schauspiel definiert sich über den Anspruch der kulturellen Aneignung, der religiösen Aneignung, der ethnischen Aneignung, der historischen Aneignung, der sexuellen Aneignung. Was sollten wir denn sonst spielen? Dann könnte ich lediglich einen 57-jährigen Kabarettisten mit Gewichtsproblemen spielen. Wir könnten ‚The Lion King’ nicht mehr aufführen, weil keiner von uns beispielsweise ein Zebra ist. Und auch ‚King Lear‘ nicht, denn niemand von uns ist ein mittelalterlicher keltischer König.“

Für Drew Sarich besteht die Kunst darin, „mit Stereotypen zu agieren, ohne jemanden zu beleidigen. Eine Situation zu schaffen, mit der sich jeder identifizieren kann und bei der sich niemand ausgegrenzt fühlt. Unsere Aufgabe ist es, überzeugend zu sein und die Liebe dieser beiden Männer glaubhaft darzustellen.“

La Cage aux Folles - Szenen einer Ehe
Drew Sarich

Foto: Felicitas Matern

Zur Person: Drew Sarich

Drew Sarich wurde in St. Louis, Missouri geboren und kam 1999 für die Rolle des Quasimodo in der Uraufführung von Disneys „Der Glöckner von Notre Dame" nach Europa. Zuletzt war er unter anderem in „Into the Woods" in der Wiener Volksoper zu erleben.

Zu den Stücken und Spielterminen der Vereinigten Bühnen

Der US-Amerikaner mit langjährigem Wohnsitz Wien spielte sich in London, New York, Berlin und Wien quer durch die internationale Musical-Geschichte. An der Volksoper Wien war der passionierte Musiker und Songwriter 2016/17 in der Titelrolle der Neuproduktion „Vivaldi – Die fünfte Jahres- zeit“ zu sehen und spielte u.a. in „Sweet Charity“ und „Into the Woods“.

Hochkarätiges Ballspiel

Drew Sarich und Viktor Gernot kennen einander seit Jahren, standen aber noch nie gemeinsam auf der Bühne. Schon gar nicht als Liebespaar. „Eines der Ja- Argumente, warum ich bei diesem Stück mitmache, ist die Tatsache, dass Drew meinen Partner spielt. Weil er ein intensiver, ernsthafter Schauspieler ist und alles singen kann, was die Musikliteratur aufzubieten hat“, streut Viktor Gernot seinem Bühnenpartner verbal Rosen.

„Ich habe sehr viel Respekt vor Viktor als Komiker“, erwidert Drew Sarich das Lob. „Komödie ist eine Wissenschaft, die nicht jeder beherrscht, die größte Herausforderung liegt im Timing. Wir treten in ‚La Cage aux Folles‘ als Comedy-Duo auf, das ist wie bei einem hochkarätigen Ballspiel. Und ich freue mich auf dieses Ballspiel!“

Vor der Kulthymnne „I Am What I Am“ – in der deutschen Fassung wenig überraschend „Ich bin, was ich bin“ – und den zwangsläufig damit einhergehenden Vergleichen mit früheren Interpreten hat Drew Sarich ebenso wenig Angst wie vor der Verwandlung in eine Diva. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass uns in puncto Kostüm und Maske einiges an Feuerwerk erwarten wird. Seit ich ‚RuPaul’s Drag Race‘ (US-TV-Show, Anm.) gesehen habe, weiß ich aber, dass es auch andere Möglichkeiten gibt als nur groß und bunt.“

Für Drew Sarich geht es nach der Premiere von „La Cage aux Folles“ in der Volksoper mit „Into the Woods“ und „Vivaldi – Die fünfte Jahreszeit“ weiter. Außerdem kann man ihn gemeinsam mit seiner Frau Ann Mandrella im Jacques- Brel-Programm „The Secret Party“ erleben. Und bis zum Sommer wird er noch drei Singles auf den Markt bringen.

Viktor Gernot bereitet indes ein neues Solokabarettprogramm vor, das auf der Praterbühne Premiere haben wird, und arbeitet gemeinsam mit Michael Niavarani an einem der Schlagermusik gewidmeten Abend. Beide hoffen für alle ihre Projekte auf pandemiebefreite Vorstellungen. Aber wer tut das nicht.

Zu den Spielterminen von „La Cage aux Folles“ in der Volksoper Wien!