Odysseus: Heimreise mit Hindernissen
Blutrünstige Riesen, lockende Sirenen, Ausflüge in die Unterwelt. „Die Abenteuer des Odysseus“ sind nichts für schwache Nerven und gerade deshalb bei Kindern so beliebt. Zehn Jahre Irrfahrt – in einem Stück.
Dieser schiffbrüchige Bettler soll sein Vater sein? Kein Wunder, dass Telemachos erst einmal verhalten reagiert, als ihm Odysseus – und damit der lange verschollene Herr Papa – gegenübertritt. Zwanzig Jahre ist es her, seit er ihn das letzte Mal sah. Zehn davon verbrachte Odysseus als Belagerer vor den Toren Trojas, ehe es ihm mithilfe eines hölzernen Pferdes gelang, die Stadt zu erobern, zehn weitere dauerte die irrwitzige Rückfahrt in die Heimat.
Langweilig wurde es Odysseus und seinen Mannen dabei selten, galt es doch, einäugige Zyklopen erst zu blenden und dann zu überlisten, den hypnotischen Gesängen der Sirenen zu widerstehen, um nicht in den sicheren Tod gelockt zu werden, im Hades die Seelen Verstorbener aufzusuchen, den einen oder anderen Ehebruch zu begehen und immer wieder zürnende Götter zu besänftigen. Telemachos indes leidet auf der Insel Ithaka unter der Abwesenheit des Vaters, von dem er lediglich Heldengeschichten kennt, und unter den zahlreichen Freiern seiner Mutter Penelope, die ihm nach dem Leben trachten. So weit, so schlecht, so umfangreich.
Heldengeschichte oder Lügenstory?
Homers Werk ist ebenso kurzweilig wie langatmig. Das gesamte Handlungsgerüst auf die Bühne zu bringen ist ein Ding der Unmöglichkeit. „In meiner Bearbeitung steht die Beziehung zwischen Vater und Sohn im Vordergrund, das ist der ‚rote Faden‘, der wichtigste Erzählstrang“, erklärt Regisseur und Autor Michael Schachermaier. „Für uns war das Motiv des abwesenden Vaters spannend, die zerrissene Familie, was es mit Telemachos macht, ohne Vater aufzuwachsen.“ Und eben wie er dessen Rückkehr aufnimmt: „Plötzlich sieht sich ein junger Mann mit einem Schiffbrüchigen konfrontiert, der behauptet, sein Vater zu sein. Der Gestrandete erzählt eine Heldengeschichte, versucht, sein Fortbleiben zu legitimieren. Aber kann das nicht alles auch eine faule Ausrede, eine große Lügengeschichte sein? Was können wir unseren Eltern glauben und was nicht?“
Die Antworten auf diese essenziellen Fragen liefern Alduin Gazquez und Bijan Zamani, die im Stück als Telemachos und Odysseus agieren.
Zur Person: Alduin Gazquez
Studium an der Filmacademy in Wien, das er 2019 abschloss. Spielte u. a. im Theater Phönix, im Theater-Center-Forum und im Kindertheater Heuschreck. Mitbegründer des „Ensemble StagepACT“, Auftritte in Kurz- und Mittellangfilmen.
Zur Person: Bijan Zamani
Nach der Ausbildung an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch war er in Mainz, Stuttgart und am Münchner Residenztheater engagiert. Zu sehen auch in Film- und TV-Produktionen wie „Tatort“ und „Unter Verdacht“.
Sagenhaftes Dreamteam
Natürlich kennen beide Schauspieler die Odyssee noch aus der Schule. „Ich bin in Berlin auf- gewachsen und fand es faszinierend, dass die griechischen Sagen aus einem völlig anderen mythologischen Kosmos kamen. All diese Götter, Halbgötter und deren Kinder, die dort ganz selbstverständlich über die Erde spazieren“,
erzählt Bijan Zamani durchaus erheitert. „Anderer- seits war es interessant, dass eine ganze Kultur auf Geschichten aufbaut, die wie Seemannsgarn daherkommen.“
Für Alduin Gazquez liegt die Quintessenz des Stücks im Wort Odyssee selbst. „Wenn man heute sagt, man habe eine Odyssee hinter sich, meint man oft, dass man – mit seiner ganzen Persönlichkeit – durch Höhen und Tiefen, durch einen Dschungel marschiert ist und sich dabei weiterentwickelt hat. Alles, was wir mit diesem Wort verbinden, bildet den Kern des Stücks.“
Und worin liegt dessen Aktualität begründet? Warum sollten sich elfjährige Kids das anschauen wollen? „Weil es zeitlos ist. Natürlich verändert sich unser menschliches Wesen, dennoch haben wir die gleichen Probleme, ähnliche Entwicklungen, Dinge, mit denen wir uns konfrontieren müssen – wie vor fast dreitausend Jahren auch. Und eine solche Abenteuergeschichte fasziniert einen als junger Mensch. Die Heldengeschichte genauso wie ihre Schattenseiten“, so Alduin Gazquez.
Plötzlich sieht ein junger Mann mit einem Schiffsbrüchigen konfrontiert, der behauptet, sein Vater zu sein."
Michael Schachermaier, Regisseur
Klare, authentische Töne
Für seinen Theater-Vater liegt die Sogwirkung auch in der Form. „Dass Menschen auf einer Bühne direkt vor dem Zuschauer stehen und miteinander reden, ist inzwischen doch etwas Besonderes. Ich sehe bei meinen Kindern, wie viele digitale Formate sie zur Verfügung haben. Und die sind so gefällig, so zuckerig. Die erzählen – polemisch gesprochen – in elf Sekunden eine ganze Geschichte samt Happy End. Das ist so langweilig.“ Im Theater hingegen sieht man ein Schiff, das nicht einmal ein richtiges Schiff ist, sondern ein Gerippe, durch das künstlicher Nebel dringt. Und auf der Bühne stehen einander Männer mit Holzschwertern gegenüber.„Dennoch übt gerade das einen enormen Reiz aus, und ich glaube, dass den auch Jugendliche wahrnehmen.“
Zur Person: Michael Schachermaier
Freischaffender Regisseur und Autor, inszeniert Sprechtheater, Musical, Oper und Crossover-Projekte. Zu seinen künstlerischen Stationen zählen u. a. Burgtheater, Volkstheater, Theater Freiburg, Next Liberty Graz und Landestheater Salzburg.
Regisseur Michael Schachermaier sieht in Alduin Gazquez und Bijan Zamani Idealbesetzungen für die Hauptrollen. „Beide Schauspieler sind sehr wach, neugierig, beherrschen Sprache und Körper, suchen nach klaren, authentischen Tönen auf der Bühne. Gleichzeitig sind sie beide sehr körperliche Schauspieler, die große Lust am Spielen haben – im wahrsten Sinn des Wortes.“ Das nennt man wohl ein großes Kompliment.
Differenzierter Werdegang
Alduin Gazquez darf sich erst seit 2019 Schauspieler nennen, so kurz liegt sein Diplom zurück. Fast genauso lang spielt eine gewisse Pandemie die Hauptrolle in unser aller Leben. „Im ersten Lockdown war ich wirklich pleite“, erzählt er. „Ich steckte in einem tiefen finanziellen Loch. Doch dann kamen langsam wieder Angebote, und ich konnte mich irgendwie über Wasser halten. Im Juni 2020 hatte ich das Glück, am Theater der Jugend vorsprechen zu können – ein Traum von mir, der in Erfüllung ging.“ Er wurde für „Die Abenteuer des Odysseus“ engagiert. „Und jetzt möchte ich mich so richtig in die Branche schmeißen.“
Bijan Zamani hat sich in zwanzig Jahren Karriere schon oft „geschmissen“. Zuletzt ans Münchner Residenztheater. Daneben in Film und Fernsehen. Oft in Rollen mit Betonung auf einen migrantischen Hintergrund. Ändert sich diesbezüglich die Branche gerade zum Besseren? „Ja, bestimmt. Ich glaube aber, dass solch eine kulturelle Entwicklung mit einer Begriffsfindung allein noch nicht geschafft ist. Bloß weil man sich nun allseits ‚divers‘ nennt. Wahrscheinlich ist das eine Entwicklung, die noch ein paar Generationen dauert“, meint er, überhaupt nicht resignativ. Und, ironisch: „Ich habe Diversität schon immer gelebt. Durch die Zuschreibung, die mir widerfahren ist, war ich häufig das diverse Element.“
Was machen Odysseus und Telemachos eigentlich, wenn sie nicht gerade Abenteuer bestehen? „Ich bewege mich gern und habe ein großes Interesse an Philosophie, Soziologie und Politik – neben der sozialen Interaktion mit anderen Menschen, die mir sehr am Herzen liegt“, antwortet Alduin Gazquez. „Und ich habe drei Töchter“, sagt Bijan Zamani lachend.„Da gibt es eigentlich keine abenteuerfreie Zeit.“ Vielleicht ja dann in Wien, im Jänner, nach den Vorstellungen.