Alexandra Liedtke: Die Moral der Macht
Sie ist auch nach zwanzig Jahren am Theater noch nervös und findet, dass Teamgeist nicht an der Bühnenkante endet. Regisseurin Alexandra Liedtke weiß außerdem, wie „Der ideale Mann“ nicht sein soll.
Ich würde jedem Menschen davon abraten, ans Theater zu gehen!“ Das hätte man nun nicht erwartet. Alexandra Liedtke, mit Anfang vierzig schon seit zwanzig Jahren im Geschäft und, wie sie selber sagt, theaterverliebt, seit sie als Kinderstatistin zum ersten Mal eine Bühne betrat. Allerdings rät sie auch dringend davon ab, Regisseur:in werden zu wollen: „Wann immer sich dieser Wunsch vermeiden lässt, sollte man ihn auch vermeiden. Wenn man andere Talente hat, sollte man lieber diese ausleben."
Der Grund für das überraschende Plädoyer gleich zu Beginn des Gesprächs: „Es gibt in diesem Beruf kaum eine Trennung zwischen Beruflichem und Privatem. Wir werden nicht nur professionell beurteilt, sondern auch als Menschen – und diese Kränkungen muss man aushalten können." Ein Rezept, wie sich derlei Verletzungen wegstecken ließen, habe sie leider noch nicht gefunden.
Teamgeist
Die Regisseurin ist wieder einmal nach Wien gereist, um im Theater in der Josefstadt zu inszenieren. Das macht sie seit ihrem Debüt an diesem Haus 2011 beinahe jedes Jahr. Dieses Mal steht „Der ideale Mann“, also die deutsche Fassung des Oscar-Wilde-Klassikers „Ein idealer Gatte“ von Elfriede Jelinek, auf dem Programm. Alexandra Liedtke liebt dieses „Nachhausekommen“, die Vertrautheit, die herrscht, wenn man ein Theater bereits kennt. Sie begrüßt jeden Bühnenarbeiter mit Namen, denn für sie gehören ausnahmslos alle zum Team, ohne das keine Magie möglich wäre. „Teamgeist ist vielleicht das Wichtigste, wenn man Regisseur:in ist. Natürlich braucht man auch Fantasie, Willenskraft und den Wunsch zu gestalten, aber die Lust auf Menschen ist wahrscheinlich das Essenziellste.“
Sie selber habe sich gar nicht für diesen Beruf entschieden, vielmehr sei es ihr immer schon ein Anliegen gewesen, Geschichten zu erzählen. Bis heute. Dass sie neben Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften auch Soziologie studiert hat, kommt ihr in ihrer Arbeit sehr zugute. „Soziologie war eigentlich nur eine Notwahl für mich, tatsächlich wurde es dann aber das Fach, von dem ich am meisten profitiert habe. Durch den wissenschaftlichen, analytischen Blick habe ich mehr über gesellschaftlich relevante Themen, die wir im Theater erzählen, gelernt als im fachbezogenen Studium.“
Macht und Korruption
Und dieser analytische Blick dürfte ihr auch in der aktuellen Inszenierung hilfreich sein. Es sei wichtig, dass es in jedem Stück zumindest einen Aspekt gebe, der sie interessiere. „Sonst kann ich auch mit dem besten Handwerk keinen gelungenen Theaterabend gestalten.“
Bei „Der ideale Mann“ sind es zwei Themenblöcke, die sie genauer hinschauen ließen. „Die Geschichte ist fast 130 Jahre alt. Es geht um Macht, Korruption, Bestechung, also um Themen, die uns bis heute beschäftigen. Ich finde es wahnsinnig spannend, dass wir so aktuell sind.“
Im Stück hat der Verrat von Insiderwissen rund um den Suezkanal Sir Robert Chiltern, einen der Hauptprotagonisten bei Oscar Wilde, erst reich und dann politisch mächtig gemacht. Und viele Jahre später auch angreifbar, will ihn seine alte Bekannte Lady Cheveley nun doch ihrerseits durch Erpressung dazu bringen, im Parlament ein dubioses Projekt zu unterstützen, in das sie investiert hat.
„Das Spannungsfeld zwischen dieser Lady Cheveley, die von vornherein als eine Art Lady Macbeth auftritt, und Lady Chiltern, der vermeintlich nur Guten, interessiert mich ebenfalls sehr". Die Zeitlosigkeit des 1895 uraufgeführten Stücks ist erschreckend wie faszinierend zugleich. „Ich gehe fest davon aus, dass es immer spielbar sein wird, weil Macht, Machterhaltung und damit einhergehend Korruption existieren werden, solange wir Menschen in Gesellschaften miteinander leben.“
Alexandra Liedtke transferiert die „Komödie mit bitterem Beigeschmack“ in die Gegenwart, bringe doch schon die Sprache Elfriede Jelineks eine gewisse Modernisierung mit sich. Selbst die Kostüme seien heutig, orientieren sich aber daran, wie die Menschen um 1900 mit Körper, Form und dem Zeigen von Haut umgegangen seien. „Auch da ist es überraschend, dass sich das Hochgeschlossene des Viktorianischen Zeitalters in aktuellen Laufstegkollektionen wiederfindet.“
Professionelle Abwechslung
Ist „Der ideale Mann“ nach ihren Vorstellungen auf die Bühne gebracht, zieht Alexandra Liedtke weiter nach Kiel. Dort wird sie „Othello“ inszenieren. Verdi, nicht Shakespeare. Denn seit 2012 ist sie auch im Opernfach eine gefragte Regisseurin. „Es sind zwei getrennte Arbeitsweisen. Im Schauspiel bin ich die Komponistin, wenn man so will. Ich entscheide, wie gesprochen wird, ob zum Beispiel ein ‚Ich liebe dich‘ gelogen ist oder nicht. In der Oper ist die Musik mein Partner, sie führt mich, es gibt für mich meistens nur eine Deutungsart, weil die Musik mir sagt, ob das ‚Ich liebe dich‘ gelogen oder wahr ist.“
Jedenfalls ist Opernregie zur großen Bereicherung für Alexandra Liedtke geworden. Und damit auch für uns.
Zur Person: Alexandra Liedtke
1979 in Dortmund geboren und früh mit dem Theater in Berührung gekommen, leitete sie bereits mit 21 Jahren das „Theater unter Tage“ in Bochum. Zu ihren wichtigsten Stationen als Theater- und Opernregisseurin zählen das Landestheater Salzburg, das Burgtheater, das Schauspielhaus Zürich, die Bregenzer Festspiele, die Wiener Staatsoper und das Theater in der Josefstadt, wo sie seit 2011 regelmäßig inszeniert.
Alle Infos zu „Der ideale Mann" auf der Website des Theaters in der Josefstadt