Angelika Hager zum Abschied von Helga Rabl-Stadler
Ein Kraftwunder von Frau: Helga Rabl-Stadler war mehr als ein Vierteljahrhundert Chefin der Salzburger Festspiele.
Nachdem ich einen 17-Stunden-Tag im Zuge einer Reportage im Schlepptau der scheidenden Präsidentin der Salzburger Festspiele verbracht hatte, war ich reif für ein Sauerstoffzelt. Unfassbar, was die 73-jährige Helga Rabl-Stadler für Energien zu mobilisieren imstande ist. Nach dem Geheimnis ihrer Unermüdlichkeit befragt, sagte sie nur lachend: „No sports!“ Die Antwort kam um halb zwei Uhr nachts, als sie sich munter aus dem Taxi vor ihrem Salzburger Haus schälte und sich dabei entschuldigte, dass es jetzt womöglich doch schon zu spät für ein letztes Getränk sei, während ich nur noch schnappatmend im Fond hing.
Wir hatten einen Tag mit Terminen für drei im Saft stehende Herren hinter uns gebracht: Friseur, diverse Büro-Audienzen, Sponsoren-Gespräche, Lunch mit Rede auf Leopoldskron, Nachwuchs-Dirigentenwettbewerb mit Rede, Dutzende Telefonate, weil wieder irgendein Künstler an einer Grenze hängen geblieben war und nicht ausreisen durfte, Champagner vor der „Così fan tutte“-Aufführung, die Oper selbst, danach Umarmungs-Marathon mit der hochschwangeren Dirigentin und den französischen Sängerinnen, die, das nur nebenbei, aussahen wie Models für einen Fairtrade-Bekleidungs-Katalog, aber ungeachtet dessen Stimmen hatten, die einen strammstehen ließen. Ach ja, und so gegen halb zwölf stand dann noch ein Dinner für Sponsoren auf dem Speiseplan.
Adrenalin durch pure Leidenschaft
Tatsächlich ist weniger die Leibesübungs-Abstinenz die Ursache der präsidentschaftlichen Antriebskraft von Helga Rabl-Stadler, sondern das Adrenalin, das die pure Leidenschaft mit sich bringt. „Ich habe mich noch in jeden Job, den ich hatte, verliebt“, erzählte sie, als wir am Nachmittag kurz auf einer Parkbank am Ufer der Salzach strandeten. „Dieser war sowieso der schönste der Welt!“
Tatsächlich erlebte ich an diesem Augusttag, der natürlich auch von der Melancholie der Vergänglichkeit durchzogen war, schließlich war es unwiderruflich die letzte Saison unter der Ägide der Präsidentin, weiblichen Führungsstil in seiner Blüte und begriff, wie sehr er sich von dem männlichen dann doch unterscheidet: „Empathische Gewalt“ nannte Ex-Jedermann Tobias Moretti seine Chefin, und möglicherweise ist die Fähigkeit, in die emotionale Perspektive des Gegenübers zu schlüpfen, also Empathie (was auch Mitgefühl beinhaltet), schon das goldene Grundnahrungsmittel für jede Führungsposition, wer immer sie bekleidet.
Charme, Humor, Neidbefreitheit und der Wille, anderen eine Spielwiese ohne Verbotstafeln zu bereiten, sind die weiteren wesentlichen Beilagen, vor allem wenn man im Befindlichkeits-Universum von Künstler:innen zugange ist.
Mehr Frauen in die Direktionsräumlichkeiten!
Ich war nie ein Quoten-Lieschen, fand solche Regelungen immer unter der Würde meines Geschlechts. Geht aber nicht mehr anders, Wird-schon-irgendwann-Vertröstung war gestern. Wir freuen uns alle auf die neue Volksopern-Chefin Lotte de Beer, die 2022 herbeifegt. Angesichts von Frauen wie Helga Rabl-Stadler oder Karin Bergmann fordere ich dringend: mehr Frauen in die Direktionsräumlichkeiten der Theater und Opernhäuser. Sie haben in der Regel mehr E-Quotient, also emotionales Know-how, und empfinden Macht nicht als hierarchisches Instrument, sondern als Gestaltungsmöglichkeit.
Ich werde nie vergessen, wie Karin Bergmann, knapp nach ihrer Übernahme des Burgtheaters im Chaos Hartmann’scher Turbulenzen, mir in einem Interview erzählte, wie sie sich morgens für ihr Bewältigungspensum hochjazzt: „Manchmal stehe ich vor dem Badezimmerspiegel und rede mit mir. Dann sage ich Sätze wie: Bergmann, du schaffst das!“ Kein Mann würde jemals so was über sich erzählen. Sie gab mir recht: „Männer lassen die Dinge nicht so nahe an sich ran. Aber wenn ich anfange, mich zu verstellen, werde ich unglaubwürdig.“ Die eine wird eklatant fehlen, die andere tut es bereits.
Zur Person: Angelika Hager
Sie leitet das Gesellschaftsressort beim Nachrichtenmagazin „profil“, ist die Frau hinter dem Kolumnen- Pseudonym Polly Adler im „Kurier“ und gestaltet das Theaterfestival „Schwimmender Salon“ im Thermalbad Vöslau (Niederösterreich).
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