Das letzte Foto von Yukio Mishima entstand am 25. November 1970 auf dem Balkon des japanischen Verteidigungsministeriums. Er trägt eine maßgeschneiderte Uniform. Um die Stirn ein Hachimaki. Sein Blick schweift theatralisch in die Weite. Wenig später schlitzte sich Mishima mit einem Dolch „sechs Zentimeter unterhalb des Bauchnabels von links nach rechts mit einer abschließenden Aufwärtsführung“ den Bauch auf. So vermerkt es nüchtern das Protokoll. Dann wurde er von seinem Freund Masakatsu Morita enthauptet. 

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In den Morgenstunden dieses Dienstags hatte Mishima noch den letzten Band seiner Tetralogie „Das Meer der Fruchtbarkeit“ an seinen Verleger geschickt. Anschließend stürmte er mit seiner Privatarmee das Hauptquartier der japanischen Streitkräfte. Dort nahm er den kommandierenden Offizier als Geisel und hielt danach – um Punkt 12 Uhr – eine flammende Rede, die jedoch niemanden inter­essierte. Mit dem dreimaligen Ruf „Es lebe der Kaiser!“ beendete Mishima zuerst die Ansprache und dann mit den Worten „Sie haben mir nicht einmal zugehört“ sein Leben. 

Yukio Mishima lebte nicht nur für Kultur und Sport. Er unternahm auch einen Putschversuch.

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Eine Oper wie ein Thriller von David Lynch

Fünfzig Jahre später soll jetzt am 14. Dezember eine Geschichte Mishimas auf der Bühne der
Wiener Staatsoper Premiere feiern. Denn Hans Werner Henzes Oper „Das verratene Meer“ beruht auf dem Roman „Der Seemann, der die See verriet“.

„Das Stück ist ein Thriller von David-Lynch-artiger Wucht, eine archaische Liebesgeschichte von antiker Gewalt, die in einer Bluttat endet“, wie Sergio Morabito, Chefdramaturg der Wiener Staatsoper, sagt. Und es ist die erste Eigenproduktion der Ära Roščić. Simone Young wird dirigieren. Anna ­Viebrock zeichnet für das Bühnenbild und die Kostüme verantwortlich. Jossi Wieler und Sergio Morabito übernehmen die Regie. Neben Bo Skovhus wird die Sopranistin Vera-Lotte Boecker ihr Staatsoperndebüt feiern. 

Schöne Liebesbeziehung mit Störfaktor

Bo Skovhus sagt im BÜHNE-Talk: „Bei dem Stück hat Henze die Liebesbeziehung wahnsinnig schön gelöst. Gleichzeitig bringt er immer irgendeinen Störfaktor ein. Etwa wenn der Teenager-Sohn das Liebesduett beobachtet und kommentiert. Ich kann dem Publikum nur raten hinzugehen.“

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Es ist die Geschichte Mishimas, die Henzes Musik trägt: Eine Frau, erfolgreiche Besitzerin eines Modegeschäfts, verliebt sich in einen Seemann. Als dieser sesshaft wird und als Verkäufer in dem Geschäft der Frau zu arbeiten beginnt, wird er von deren 14-jährigem Sohn und dessen Gang ermordet. Der – absurde – Grund: Er hat das Ideal des Meeres verraten.

Weitere Details zu Yukio Mishimas Leben: Er besuchte oft Paris, wurde dreimal für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen.

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Yukio Mishimas düstere Seite

Dreimal war Mishima für den Literatur­nobelpreis vorgeschlagen worden. Bereits mit zwölf Jahren schrieb er Texte in englischer, französischer und deutscher Sprache. Gegen den Widerstand seines Vaters wurde Mishima nach seinem Jus­studium Schriftsteller. Zuerst als Autor für das Kabukitheater, mit 24 folgte aber der Durchbruch als Romancier mit „Bekenntnisse einer Maske“. 

Es ist dies die erste öffentliche Offenbarung seiner unterdrückten Seite: Denn der Protagonist erlebt seine erste Ejakulation, als er ein Bildnis des von Pfeilen durchbohrten nackten Oberkörpers des heiligen Sebastian betrachtet. Für viele ist dieser Roman auch ein Outing Mishimas, der zeitlebens mit seiner Homosexualität spielte, sich aber nie dazu bekannte. 

Yukio Mishima spielte Kabukitheater.

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Manisches Training

Weil Mishima in seiner Jugend oft verlacht wird, beginnt er manisch zu trainieren. Er formt seinen Kör­per nach griechischen Idealen. In den Sechzigern wird er Model und Schauspieler, der in Dutzenden B-Movies mitspielt. Und er lässt sich halbnackt für Magazine fotografieren. Daneben schreibt er ein Werk nach dem anderen. Westliche Besucher er­leben ihn als amüsanten und weltoffenen Gastgeber – er ist ein international gefeierter Autor.

Mit Beginn der linken Studentenunruhen kippt Mishima in einen abstrusen Nationalismus. Schließlich gründet er eine 80 Mann starke Privatarmee und will damit gegen den Kommunismus und für den Kaiser kämpfen. Seinen rituellen Suizid nimmt Mishima im 1961 erschienenen Werk „Patriotismus“ vorweg. 

Im Jahr 1989 schreibt Hans Werner Henze „Das ver­ratene Meer“. Henze war Mitglied der kommunistischen Partei und lebte offen homosexuell.

Dreimal pro Woche trainierte Yukio Mishima Kampf­sport und stählte damit seinen Körper.

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Zur Person: Yukio Mishima

Er lebte von 1925 bis 1970. Geboren als Kimitake ­Hiraoka. Später benannte er sich in Mishima um. Seine Familie entstammte dem ­japanischen Hochadel. ­Mishima studierte Jus und wurde später zum internatio­nal ­gefeierten Romancier mit drei Literaturnobelpreis-Nominierungen. Er spielte in Filmen mit und arbeitete als Model. Mit 45 Jahren beging er nach einem Putschversuch ­rituellen Selbstmord.

Termine: Das verratene Meer

Premiere & Erstaufführung an der Wiener Staatsoper
14. Dezember 2020 → 19.00 Uhr: LIVESTREAM auf play.wiener-staatsoper.at
15. Dezember 2020 → 19.30 Uhr: AUSSTRAHLUNG auf Ö1

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