„Il barbiere di Siviglia“: Rossini-Keks mit Stahlkanten
Das Junge Ensemble des Theaters an der Wien reist in der Kammeroper mit Rossinis „Il barbiere“ nach Sevilla. Regisseur Christoph Zauner und sein Bühnenbildner Nikolaus Webern sorgen dafür, dass es keine unbeschwerte Klassenfahrt wird.
Opera buffa ist abgesagt. Zumindest im Rossini-Sinn, wenn Christoph Zauner „Il barbiere di Siviglia“ in der Kammeroper auf die Bühne stellt. Da dreht sich keine fröhliche Rossiniwalze, die immer schneller und lauter die Noten ins Publikum sprudelt.
Vielmehr wird Stacheldraht ausgerollt: „A Clockwork Orange“ ist das Stichwort des Regisseurs, um eine Ahnung von jenem Geist zu geben, der durch Rossinis All-Time-Hit am Wiener Fleischmarkt wehen wird. Zur Erinnerung: Beethovens „Ode an die Freude“ oder Rossinis Ouvertüre zu „Wilhelm Tell“ untermalen in Kubricks Kult-Klassiker eine wahre Gewaltorgie.
„Für mich ein Beispiel, wie bewusst schöne Musik, schnelle Musik, bunte Musik genommen wird, um genau das Gegenteil im Bild zu zeigen. Wir machen hier auch eine Grenzerfahrung, wo ich selbst noch nicht weiß, wo es hingeht“, sagt Zauner am Rande der Proben.
Zur Auffrischung: In Sevilla erobert sich Graf Almaviva mit List und der Hilfe des Barbiers Figaro inkognito und bürgerlich unter dem Namen Lindoro das blutjunge Mädchen Rosina. Sie ist Mündel des Apothekers Don Bartolo, der sie gerne selbst heiraten würde, aber am Ende durch die Finger schauen muss.
„Ich gehe bei fast allen Stücken zuerst einmal vom Text aus, bevor ich zur Musik komme. Hier muss man dann natürlich auch zu Beaumarchais zurück“, so Zauner. Beaumarchais hat mit seiner Trilogie „Le barbier de Séville“,„Le mariage de Figaro“ und „La mère coupable“ ordentlich Stoff für Oper und Revolution geschrieben.
Wenn Zauner den „Barbier“ inszeniert, kann er das Sequel „Die Hochzeit des Figaro“ nicht außer Acht lassen, in dem Rosina als frustrierte Gräfin Almaviva ihrem Gatten bei seinen Eroberungen zuschauen muss, während seine Unter-hingeht“, so Zauner.
Rosina ist für ihn das große Opfer, die im Gefängnis bei ihrem Onkel sitzt und keine Ahnung von Welt und Leben hat, aber im Lauf des Stücks eine große Entwicklung durchmacht, ihre „Erweckung“ erlebt: „Rosina ist ein Objekt für alle, ohne dass irgendjemand auf sie eingeht. Sie zweifelt extrem an sich selbst, ist für mich eine klassisch Pubertierende, die aber im Lauf der Geschichte zur Frau wird. Am Schluss steht sie da und merkt nicht nur, dass sie die einzige Normale ist, sondern auch, dass sie von einem Gefängnis ins nächste wechselt.“
Der Charakter, der für Zauner komplett aus der Reihe tanzt, ist der Graf.
„Der ist kein Guter“, so Zauner. „Das Spannende ist, dass er jedes Mal, wenn er auftritt, ein anderer ist. Er kommt zuerst als Lindoro, dann als Soldat, als Double von Basilio. Erst am Ende ist er der Graf. Damit kann auch Rosina nicht umgehen, weil sie sich in ein Bild verliebt hat, das sie nicht kennt.Man muss daher zeigen, was der Graf für eine zweifelhafte Figur ist, sonst funktioniert das nicht. Er will mit den Menschen spielen. Er könnte alles haben, aber er möchte auf die Jagd gehen.
Die zweite spannende Frage für Zauner ist, warum Beaumarchais das Ganze gerade in Sevilla spielen lässt, „einer Stadt am untersten Rand der Welt. Dahinter ist nur noch der Ozean. Aber trotzdem ist es für uns ein metaphorischer Ort.“
Rossini meets „Mad Max“
Die heikle Aufgabe, dieses Sevilla auf die Mini-Bühne zu stellen, hat Bühnenbildner Nikolaus Webern übernommen. Der „Barbier“ verlangt laut Libretto Innen- und Außenraum sowie einen ersten Stock.
„Wir sind in der Kammeroper, die ja ein eher kleines Haus ist, wo man diesen ersten Stock auf der Bühne kaum sehen würde. Wir haben ein Außen und Innen zumindest für Rosina, quasi eine Zelle, weil sie eingesperrt ist, sonst findet alles unter freiem Himmel in einer Art Lager statt. Und wir haben keinen ganzen Stock, sondern eher ein Mezzanin.
Wir spielen auch einmal damit, dass es so eng ist, und stecken alle in dieses Gefängnis“, erklärt Webern und ergänzt zur Ästhetik: „Es ist kein schönes Urlaubssevilla, sondern eines einer düsteren Zukunft, am Hafen.
Man erahnt eine große Mauer, mit einem Durchgang, wo nicht jeder durchgehen darf. Man kann sich das ein wenig wie Rossini meets, Mad Max‘ vorstellen.“
Die bescheidenen Möglichkeiten des kleinen, seichten Guckkastens ohne Seitenbühnen empfindet er dabei als Herausforderung, denn „es ist spannend, wie man da ein wenig Tiefe reinbekommt, den Raum interessant macht. Die Nähe bringt Vorteile, weil man als Zuschauer kleine Details wahrnehmen kann. Wir können realistisch arbeiten, müssen nichts übertreiben oder aufblasen.“
Man muss zeigen, was der Graf für eine zweifelhafte Figur ist.
Christoph Zauner, Regisseur
Auch Zauner schätzt das: „Auf der großen Bühne muss man manchmal die Gesten verstärken. Ich möchte dagegen die Sänger dazu bringen, dass sie auch spüren, was sie spielen. Ich liebe den Film, wo es immer heißt, der Darsteller darf gar nichts zeigen, der Zuschauer muss in ihn reinschauen können. Das geht auf der Bühne natürlich nicht, aber man kann probieren, wie weit man mit der emotionalen Lautstärke hinuntergehen kann.“
Womit wir wieder bei „Mad Max“ und „A Clockwork Orange“ wären. Christoph Zauner setzt jedenfalls auf starkes Musiktheater: „Ich zeige das Stück in einer Zukunft, als echte Dystopie, voll schwarzem Humor und Absurdität. Die Musik ist dazu wie ein Wirbelsturm. Das Ziel wäre, dass wir das so durchpeitschen, dass man am Ende rausgeht und gar nicht mehr weiß, was man gesehen hat. Als ob man überfahren wurde.“
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Aufgrund eines Corona-Falls im Produktionsteam muss die geplante Premiere von Rossinis "Il barbiere di Siviglia" in der Kammeroper am 8. März leider abgesagt werden.
Dieser Vorstellungstermin entfällt daher ersatzlos.
Vorstellungen: 11.(Premiere),13.,16.,18.,20.,22.,24.,26.,29.März 2022 Beginn: 19.00