Angelika Hager: Geht's noch?
Stefanie Reinsperger tritt mit ihrer emotionalen Buchansage „Ganz schön wütend“ einen wichtigen Diskurs los.
Tatsächlich gibt es in so einem Theaterkonsumenten-Leben relativ selten Momente, wo man von einem neuen Talent wie vom Donner gerührt wird. Als Stefanie Reinsperger 2014 im Akademietheater in „Die lächerliche Finsternis“ von Wolfram Lotz einen somalischen Fischer knapp vor der Piraten- Umschulung spielte, war das ein solcher Augenblick.
Die damals 26-jährige Steffi Reinsperger kehrte mit dem Besen den Bühnenboden und zeterte im breitesten Wienerisch ihre Kapitalismuskritik. Nach einer Zwischenstation am Volkstheater kam sie uns ans Berliner Ensemble abhanden, wo sie auch das gewöhnlich nicht durch die Decke gehende Publikum begeistert aus den Sitzen schnellen lässt.
Doch die Vorgeschichte zui hrem Mutausbruch in Buchform mit dem Titel „Ganz schön wütend“ (bei Molden) beginnt eigentlich in Salzburg, wo sie in den Jahren 2017 und 2018 den Job für die aus feministischer Perspektive undankbare Rolle der „Buhlschaft“ (fünfzehn Minuten netto Redezeit) neben Tobias Morettis Jedermann zu übernehmen hatte. Mit verletzenden und oftmals zutiefst kränkenden Konsequenzen: Die Reinspergerin, die unter anderem das Kunststück geschafft hatte, in einem Jahr zur besten Schauspielerin und zur besten Newcomerin von der renommierten „Theater heute“ -Jury gekürt zu werden, bekam die geballte Ladung Bodyshaming vom Feuilleton bis über die
Boulevardmedien verpasst; den Rest an dumm- dreisten Gemeinheiten besorgten dann übergriffige Zuschauer, die sich für das zuerst verlangte Autogramm mit einer diffamierenden Kostüm- oder Körperkritik bedankten.
Damals existierte der Begriff „Body Positivity“ noch nicht. Und Steffi Reinsperger war noch nicht, wie sie heute erzählt, in der Lage, ihrer Wut ein öffentliches Forum zu geben: „Ich habe die Dinge damals nur mit mir selbst ausgemacht.“ So sehr einem die Woke-Bewegung mit ihrer teilweise überpeniblen Zeigefinger-Mentalität manchmal auf die Nerven gehen kann, so extrem wichtig ist sie, um die Das-geht-nicht-mehr-Sensibilität in den Köpfen rückständiger Menschen zu implantieren.
„Seit ich beschlossen habe, auf einer Bühne zu stehen, musste ich damit rechnen, wegen meines Körperbaus kritisiert zu werden“, erzählte sie mir im Interview. Während Männer sich auch in der Darstellungsbranche weder biegen noch brechen lassen müssen, weil ihre Nasen zu groß, ihr Haar zu fliehend und ihr Bauch zu Bier ist, dürfen Frauen wegen ihres Aussehens noch immer plattgemacht werden. Um das zu beenden, braucht es aber solche, die aufstehen und die rhetorische Frage stellen:
„Geht’s noch?“
So wie die Reinsperger jetzt mit ihrem Buch.
Oder Sophie Passmann mit ihrer Dickpic-Aktion auf ProSieben. Oder Verena Altenberger mit der Veröffentlichung des Briefes eines solchen Trolls, dem ihre Glatze nicht bekam. Also im Widerstand gegen Tatsachen, dass Frauen ab vierzig im Mutterfach verparkt werden, während ihre Partner problemlos dreißig Jahre älter sein und noch immer das Love Interest geben dürfen. Und dass die alten weißen Männer in den Feuilleton-Redaktionen auch einmal zwingend checken, dass auch sie im 21. Jahrhundert angekommen sein sollten. „Wir brauchen kein Mitleid“, sagte die Reinspergerin, „sondern es muss einfach Schluss damit sein. Punkt.“