Ich gestehe: fortschreitendes Verblödungsstadium durch Serien-Binging. Ermattet hängt man nach drei Folgen des shakespearesken Machtdramas „Succession“ (Sky), basierend auf den Macheloikes der Murdoch-Mischpoche, und diversen Serienkillerdokus auf Netflix in seiner zerwühlten Couchlandschaft, der Nacken schmerzt, das Hirn hat auf Aufnahmestopp gedrückt und ist eine bleigraue Wüste, der Energielevel unterste Kajüte. Netfix und Foxi eben.

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Den Arbeitstitel für diesen Gesamtzustand klaue ich mir bei Ferdinand Raimunds „Gefesselter Phantasie“, die Inszenierung von Herbert Fritsch ist zurzeit am Burgtheater zu sehen. Herr Fritsch lässt sich bekanntlich nicht von Textvorgaben belasten, die Angelegenheit wirkt wie eine Kooperation von Wes Anderson und frühem André Heller unter Beigabe eines mikrodosierten LSD-Trips; die bekannten Schauspieler sind alle merklich erschlankt – weil zu vielen akrobatischen Einlagen verdonnert worden. Fit mit Herbert irgendwie.

Theater scheucht die Synapsen hoch

Beim Verlassen des Theaters hat man zwar keine Ahnung mehr, was der Plot dieses Zauberkaleidoskops genau war, aber man fühlt sich besser – und auf eine angenehme Weise bunter. Wenn alle Zukunftsvisionäre mir verklickern wollen, dass Nähe in der Kunst von uns Oldschool-Friedhofsdeserteuren total überschätzt wird und „Museen das bessere Netflix werden müssen“, wie der wunderbare, kurz vor seinem Umzug nach Wien verstorbene Peter Weibel in seinem letzten Interview angemerkt hat, dann muss ich hier voll herzhafter Inbrunst widersprechen.

Ich will mich durch kein Museum durchklicken, auch wenn es dazu als Goodie interaktiven Firlefanz gibt. Ich will dieses Gefühl haben, im Hier und Jetzt zu stehen oder zu sitzen, und dass all diese Künstler nur für mich gemalt haben oder eben singen/tanzen/Texte zum Leben animieren.

Theater scheucht immer die Synapsen hoch und macht wach. Auch wenn es manchmal nur „ja eh“ ist, so die bezaubernd verknappte wienerische Variante von „Hat mich nicht umgehauen, war aber ganz in Ordnung“. Meine verstorbene Freundin Doris F., Künstleragentin, meinte in solchen Fällen: „Man musste nicht sein Gebiss in die Luft werfen.“ Von Kritikern sollte man sich bei der Besuchswahl nicht verscheuchen lassen. Lesen Sie am besten keine, verlassen Sie sich ganz auf die Mundpropaganda Ihrer Vertrauenspersonen. Tatsächlich habe ich nach der Lektüre mancher Bewertungsprotokolle Zweifel, ob die Rezensent*innen in der gleichen Veranstaltung wie ich gesessen sind. Unfassbare Wahrnehmungsunterschiede machen sich da oft breit. „Es ist diese Verbindung von Einfachheit und Geheimnis, deretwegen ich den Beruf nie aufgeben möchte“, schrieb der letzte der großen monomanischen Regiesaurier, Claus Peymann, in seinem literarischen Ego-Trip „Mord und Totschlag“.

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In ständiger Verhandlung mit den Schweinehund

Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen: Eine Handvoll Menschen stellen sich auf ein paar Bretter und simulieren Realität. Und wir da unten haben im besten Fall das Gefühl, dass sie das nur für uns, die wir in der Geborgenheit der Dunkelheit lungern, tun. Klar, wir sind alle etwas faul geworden durch die Pandemiejahre. Aber tatsächlich ist der Besuch eines Theaters ähnlich wie der eines Fitnesscenters. Davor steht man in ständiger Verhandlung mit seinem Schweinehund, kaum ist man da und es geht los, fetzt einem die Frage durch den Kopf: „Warum mach ich das eigentlich nicht viel öfter?“