No more excuses: Herstory im Werk X-Petersplatz
Basierend auf realen Geschichten haben Ursula Leitner und Sophie Benedikte Stocker mit „Herstory“ einen Theaterabend geschaffen, der sich auf vielstimmige Weise mit Alltagssexismus und patriarchalen Rollenbildern beschäftigt. Wir haben die beiden Theatermacherinnen nach einer der letzten Proben im Werk X-Petersplatz getroffen.
Nach einer Form von Initialzündung für die Entwicklung eines Stückes zu fragen, das sich mit sexualisierter Gewalt an weiblich gelesenen Personen beschäftigt, fühlt sich absurd an. Nicht auf die gute Weise, sondern auf eine, die einen augenblicklich daran erinnert, dass jeden Tag Dinge passieren, die potenzielle Auslöser für ein Stück wie „Herstory“ sein könnten. Das Doku-Theaterstück, geschrieben von Sophie Benedikte Stocker und inszeniert von Ursula Leitner, ist ab 16. März im Werk X-Petersplatz zu sehen.
Allerdings gab es auch ein persönliches Erlebnis, das die Dringlichkeit des Stückes zusätzlich befeuerte, erzählt die Regisseurin im Interview: „Ich saß mit Blick nach draußen in einem Lokal, und draußen vor dem Fenster stand ein Mann, der so tat, als ob er telefonieren würde, sich aber eigentlich einen runterholte und mich dabei direkt ansah.“ Einfluss auf das Stück hatten aber vor allem die Reaktionen auf die Geschichte, merkt Leitner an. „Jedes Mal, wenn ich sie einer anderen Frau* erzählt habe, kam als Reaktion meist sehr schnell, dass sie schon einmal in einer ähnlichen Situation war.“ Die erschreckend hohe Anzahl an Femiziden in Österreich war für Ursula Leitner und Sophie Benedikte Stocker ebenfalls ein wichtiger Grund, sich im Rahmen eines Theaterstückes mit der Erniedrigung und Unterdrückung von Frauen* auseinanderzusetzen.
Vielstimmige Stückentwicklung
„Als wir begannen, uns darüber auszutauschen, kamen wir schnell zu dem Schluss, dass es mit Dingen beginnt, die einem selbst gar nicht auffallen, weil man sie so internalisiert hat und sie als normal empfindet. Tatsächlich ist es aber so, dass all diese Mikroverletzungen unser Handeln beeinflussen“, fügt Sophie Benedikte Stocker hinzu. Die Geschichten, die in „Herstory“ von sechs Darsteller*innen unterschiedlichen Alters verhandelt werden, sind nicht fiktiv, sondern entstammen allesamt diesem erschreckend großen Reservoir an realen Geschichten über gewalttätige Handlungen gegenüber Frauen*.
Zunächst fragten die beiden Theatermacherinnen in ihrem eigenen Umfeld nach, ob sich jemand anonym zu diesen Themen öffnen würde. Die Sache zog jedoch schnell größere Kreise, erinnert sich Ursula Leitner. Sophie Benedikte Stocker ergänzt: „Wir hatten nach relativ kurzer Zeit unglaublich viel Material beisammen, weil es nicht nur in unserem Freundes- und Bekanntenkreis ein großes Bedürfnis gab, darüber zu sprechen. Es war so viel, dass wir letztendlich nur einen kleinen Teil davon verwenden konnten.“
Eineinhalb Jahre haben die beiden Theatermacherinnen an dem Stück gearbeitet – „eine schöne, aber auch sehr intensive Zeit“, sind sich die beiden einig. Obwohl die Auseinandersetzung auch viel Persönliches an die Oberfläche beförderte, war von Anfang an klar, dass in „Herstory“ Geschichten erzählt werden sollen, die „stellvertretend für alle Frauen* stehen“, ergänzt Ursula Leitner. Sich in einem All-Female-Team zu wissen und sich dadurch auf Augenhöhe austauschen zu können war für die Arbeit dennoch unglaublich wichtig, fügen die beiden beinahe unisono hinzu. Letztendlich entstand die finale Fassung in einem gemeinsamen, vielstimmigen Prozess innerhalb des diversen „Herstory“-Ensembles.
Humorvoll erzählen
Die Art und Weise, wie die Geschichten in dem Stück erzählt werden, ist alles andere als beschönigend, dennoch von einem feinen Humor durchzogen. „Schon in der Konzeption war uns der Humor sehr wichtig, weil man das sonst gar nicht aushält“, bringt es die Regisseurin auf den Punkt. Durch die humorvolle Erzählweise ist es dem Team von „Herstory“ außerdem gelungen, die Geschichten nicht mit erhobenem Zeigefinger zu vermitteln. „Es ging uns niemals darum, 60 Minuten lang Männer zu bashen“, wirft Sophie Benedikte Stocker ein.
Ursula Leitner ergänzt: „Es ist uns wichtig, Männern klar aufzuzeigen, was tagtäglich in Österreich passiert, aber wir möchten auch bei Frauen* ein Bewusstsein dafür schaffen, wie viele Dinge wir über uns ergehen lassen, zu denen eigentlich niemand ein Recht haben sollte. Schon im Kindergarten wird uns eingeredet, dass wir brav und ja nicht zu laut oder fordernd sein dürfen. Für die Erhaltung des patriarchalen Systems wäre es am besten, man säße als Frau* oder Mädchen* einfach still in einer Ecke.“
„Mit euch kann ich alles schaffen“
„Es geht darum, auf blinde Flecken hinzuweisen“, bringt es Sophie Benedikte Stocker auf den Punkt. „Dabei war es uns durchaus ein Anliegen, die männliche Bevölkerung nicht zu traumatisieren. Im Idealfall gehen auch die Männer aus dem Stück raus und sagen: Feminismus ist geil!“, fügt sie lachend hinzu. „Vielleicht mag es idealistisch klingen, aber ich bin davon überzeugt, dass das Stück dazu beitragen kann, internalisierte Denkmuster aufzubrechen. Und im besten Fall kommen diese Dinge auch in der Politik an“, sagt Ursula Leitner abschließend. Dann trennen sich unsere Wege wieder. Das gerade in der Probe Gesehene wirkt jedoch noch lange nach. Darunter auch ein Satz, der erst unmittelbar nach dem Durchlauf ausgesprochen wurde, der sich als Gefühl aber über die gesamte Arbeit zu spannen scheint. „Mit euch kann ich alles schaffen“, resümierte Spielerin Grace Marta Latigo, während sie ihre Kolleg*innen in die Arme schloss.