Er sei „noch ganz fritschig“, sagt Sebastian Wendelin und lehnt sich dabei lachend nach vorn. Wir sitzen im Gastgarten des Café Sperl, und der Neologismus, den der Schauspieler gerade aus seinem (nicht vorhandenen) Hut gezaubert hat, ist eine Ableitung des Namens jenes Regisseurs, mit dem der Schauspieler in den vergangenen Wochen sehr viel Zeit verbracht hat: Herbert Fritsch. In dessen Inszenierung der Raimund-Posse „Die gefesselte Phantasie“ ist der im Weinviertel aufgewachsene Schauspieler als Harfenist Nachtigall zu sehen – wobei im Falle Sebastian Wendelins „erleben“ der deutlich passendere Infinitiv wäre.

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Als sehr körperlichem Schauspieler komme ihm die Arbeit von Herbert Fritsch sehr entgegen, erklärt er, „genauso wie das intuitive Spiel und das Narrentum – sich ohne viel nachzudenken einfach dem Wahnsinn hinzugeben“. Auf jeden Fall versuche er das, fügt er nach einer kurzen Pause hinzu, denn als reinen Bauchschauspieler würde er sich trotzdem nicht bezeichnen. „Auch ich bin manchmal verkopfter, als ich es gerne wäre, denke zu viel nach oder mache mir Sorgen darüber, ob das, was ich anbiete, genug ist. Herbert Fritsch wünscht sich Spieler*innen, die einfach lostraben – oder noch besser: losgaloppieren.“

Theaterpause

„Die gefesselte Phantasie“ ist Sebastian Wendelins zweite Theaterarbeit mit dem Regisseur, der seine Theaterkarriere als Schauspieler bei Frank Castorf begann. Außerdem gehört Wendelin mittlerweile zum Ensemble von Fritschs „Barbiere“-Inszenierung an der Wiener Staatsoper. „In der Rolle des Ambrogio kann ich zweieinhalb Stunden lang über die Bühne turnen“, erzählt er lachend.

Nach einer kleinen, bewusst eingelegten Theaterpause haben Raimunds „Gefesselte Phantasie“ und die Zusammenarbeit mit Herbert Fritsch Sebastian Wendelins Theaterlust wieder entfesselt. „Zwischen mir und dem Beruf hat sich trotzdem etwas verändert“, merkt er an. „Ich bin nicht mehr so fixiert darauf wie noch vor zehn Jahren. Ich weiß nicht, ob ich es tatsächlich schaffen würde, aber hin und wieder denke ich mir, dass ich mir mittlerweile vielleicht sogar ein Leben ohne Theater vorstellen könnte. Der Beruf geht nicht mehr so sehr an meine Existenz. Klar schlafe ich manchmal ein paar Nächte schlecht, aber dann ist es auch wieder gut. Dadurch kann ich in der Probenarbeit viel freier sein.“

Sebastian Wendelin
In Herbert Fritschs buntem Bühnenuniversum Der mit bescheidenem Talent ausgestattete Harfenist Nachtigall

Foto: Matthias Horn

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Zu dritt im „Sturm“

Ins Komödieneck wurde er trotz seiner sehr körperlichen Spielweise nie gedrängt. „Eigentlich habe ich schon so gut wie alles gespielt“, so Wendelin. Auch Shakespeare, dem der Schauspieler in diesem Sommer in Gmunden erneut begegnen wird. Er ist Teil des Ensembles der „Sturm“-Inszenierung von Moritz Franz Beichl – eine Koproduktion der Salzkammergut Festwochen Gmunden mit dem Stadttheater Klagenfurt. „Mir ist Shakespeare auch deshalb irgendwie nahe, weil es auch in seinen Tragödien immer eine Figur gibt, die lustig ist. Das entspricht meiner Sicht auf die Welt sehr. Ich kann mit vielen Dingen am besten umgehen, indem ich sie in eine Form von Absurdität bringe.“ Gespielt wird die Fassung von Joachim Lux und Barbara Frey, die das umfangreiche Shakespeare’sche Figurenarsenal auf drei Figuren herunterdestilliert. Mit Maria Happel, Johann Adam Oest und Joachim Meyerhoff lief die Fassung über viele Spielzeiten hinweg im Akademietheater.

Auch im Sommer 2022, Karin Bergmanns erstem Sommer als Leiterin der Bereiche Literatur und Theater bei den Salzkammergut Festwochen Gmunden, stand Sebastian Wendelin bereits im Stadttheater Gmunden auf der Bühne – in Franz-Xaver Mayrs Inszenierung von Schnitzlers „Reigen“. „Ich habe in diesen Tagen erlebt, wie sehr die Leute aus der Umgebung die Wiederbelebung des Gmundner Stadttheaters gefeiert haben“, so Wendelin. Außerdem seien zwei Wochen am Traunsee auch nicht das Schlechteste, fügt er lachend hinzu. Als Karin Bergmann, die ihn 2018 auch ins Ensemble des Burgtheaters holte, wegen des „Reigen“ bei ihm anklopfte, war er deshalb sofort dabei.

Erste Schritte

Als Sohn eines Geigers und einer Maskenbauerin wurde Sebastian Wendelins Theaterliebe schon früh entzündet. Im Alter von vier Jahren stand er in einer Operninszenierung seiner Eltern zum ersten Mal auf einer Bühne. „Viele Jahre später wurde mir erzählt, dass ich aus einem Weg, der eigentlich zehn Sekunden dauert, eine zweiminütige Nummer gemacht habe“, erzählt er.

Bevor wir uns verabschieden, möchten wir noch von Sebastian Wendelin wissen, ob – man hört es ja immer wieder – die Komödie wirklich das schwierigere Fach sei. Er überlegt einen Moment, dann antwortet er: „Ich weiß nicht, ob sie tatsächlich schwieriger ist, aber sie ist definitiv schwierig zu proben, weil irgendwann unten im Parkett niemand mehr lacht und man mit dieser Stille konfrontiert ist. Man beginnt sich unweigerlich die Frage zu stellen, ob dann in der Aufführung jemand lachen wird.“

Nun verabschieden wir uns tatsächlich, Sebastian Wendelin schwingt sich auf sein Fahrrad und fährt davon. Irgendwie liegt es schon in der Luft, das Sturmhoch des Theatersommers 2023.