Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut
Sich Zeit zu nehmen sei für ihn mittlerweile ein Akt der Anarchie geworden, erzählt der preisgekrönte belgische Theatermacher Luk Perceval. Bei Theaterproben zum Beispiel, die ihm als Ort des Austauschs zwar heilig sind, aber niemals unantastbar sein sollten.
In der Yogapraxis gibt es unter anderem eine Reihe herzöffnender Übungen und Posen. Das mag im ersten Moment vielleicht seltsam chirurgisch klingen, hat mit Operationen am offenen Herzen aber ganz und gar nichts zu tun. Es bedeutet auch nicht, dass sämtliche Herzensangelegenheiten plötzlich unkontrolliert aus einem herauspurzeln. Bleibt dennoch die Frage: Was hat eine derartige Feststellung in einem Theatermagazin verloren? Luk Perceval, vielfach ausgezeichneter Theatermacher mit belgischen Wurzeln und Yogaausbildung, beginnt seine Probentage gern mit morgendlichen Yogastunden. So auch am Wiener Volkstheater, wo er gerade die Proben zu „Rom“, einer Verschmelzung von vier Shakespeare-Stücken zu einem Abend, aufgenommen hat. Außerdem ist der Regisseur das beste Beispiel dafür, was es bedeutet, wenn man sein fürs Theater schlagendes Herz auf der Zunge trägt.
Wie weit seine Offenheit reicht, zeigt sich unter anderem in seinem Wunsch, die erste Probenphase für „Rom“, das im April 2024 im Volkstheater zur Premiere kommt, allen interessierten Menschen über die Streaming-Plattform Twitch zugänglich zu machen. Eine ungewöhnliche Herangehensweise, wenn man bedenkt, dass Theaterproben bislang stets etwas Heiliges anhaftete.
Theater bedeutet spielen – so, wie man es als Kind getan hat, als man gemeinsam mit seinen Freund*innen zum Mond geflogen ist.
Luk Perceval
O du schönes Nichtwissen
„Nicht jeder Stoff eignet sich dazu, und man muss sich gut überlegen, wie man es machen möchte“, hält Luk Perceval fest. Als Regisseur, dessen Weg in der freien Szene begann, stellte er jedoch eines Tages fest, dass die Freude an der Arbeit für ihn vor allem in der gemeinsamen Auseinandersetzung liegt. „Im gemeinsamen Nichtwissen und der Möglichkeit, das auch zuzugeben“, fügt er lachend hinzu. Er setzt nach: „Ich finde es schade, dass man als Theaterliebhaber*in immer nur das Endprodukt all dieser Dialoge und Auseinandersetzungen sieht. Der Weg dorthin ist von Momenten des Scheiterns gepflastert und ist sehr viel menschlicher als das fertige Ding, das immer unter dem Druck der Perfektion steht.“
Außerdem sei die Öffnung der ersten Probenphase auch eine Möglichkeit, Menschen zu erreichen, die bislang Hemmungen hatten, ein Theater zu besuchen. Zu dieser Gruppe zählt der Theatermacher auch sein jugendliches Ich. „Ich dachte lange, dass ich für das Theater zu dumm sei und mit meinem familiären Hintergrund in diesen Ehrfurcht ausstrahlenden Gebäuden nichts verloren habe“, so Perceval. Nach einer kurzen Pause ergänzt er: „Dabei sind die meisten Stücke gar nicht so schwer zu verstehen, weil es ja letztendlich immer um Menschen geht.“
Was Yoga und Theater nun tatsächlich verbindet, möchten wir abschließend von Luk Perceval wissen. Er schmunzelt und sagt: „Sehr viel.“ Und sofort folgt eine Erklärung: „Theater bedeutet spielen – so, wie man es als Kind getan hat, als man gemeinsam mit seinen Freund*innen zum Mond geflogen ist. Doch als Erwachsenen fällt uns das immer schwerer, weil man andauernd das Gefühl hat, beurteilt zu werden. Was Yoga uns lehrt, ist, mit sich selbst und allen Aspekten, die Teil der eigenen Wirklichkeit sind, Frieden zu schließen. Und diese Angst vor ständiger Beurteilung loszulassen.“