„Volkstheater ist Erlebnistheater“
Vom Noise Essay zur Weltuntergangskomödie: Das Volkstheater stellt sich in der kommenden Spielzeit nicht nur breit auf, sondern mit Goethes „Faust“ auch ein klassisches Stück an den Anfang, das erahnen lässt, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Während dieser Text über die kommende Spielzeit am Volkstheater entsteht, jandelt es gerade ziemlich in Berlin. Das Theatertreffen ist in vollem Gange und „humanistää!“, Claudia Bauers verwilderte Sprechoper nach Ernst Jandl, Teil der diesjährigen 10er-Auswahl. „Garantiert ohne ottos mops!“, wie es auf der Website des Volkstheaters heißt, dafür mit Standing Ovations, schier endlosem Schlussapplaus und beachtlicher Twitter-Resonanz. So schreibt etwa der bekannte Regisseur Ersan Mondtag: „Claudia Bauer liefert den vielleicht bemerkenswertesten Abend des Theatertreffens der letzten 20 Jahre.“
Schon etwas länger, nämlich seit 1889, versteht sich das Wiener Volkstheater als Bühne für Geschichten und Ausdrucksformen nichtaristokratischer Herkunft. Die auf der Theaterbühne verhandelten Themen kamen stets aus der Mitte der Gesellschaft, waren häufig Auslöser von Skandalen und konfrontierten die Zuschauer*innen mit den drängendsten Fragestellungen ihrer Zeit. Diese wichtige Tradition möchte Kay Voges mit seinem Team nicht nur fortführen, sondern auch weiterdenken. „Volkstheater ist Erlebnistheater“, so der Direktor. Und thematisch wie auch formal ebenso vielfältig wie die Menschen, die diese Erlebnisse erschaffen. Oder, wie Ensemblemitglied Claudio Gatzke es im Trailer zur Saison 2022/23 formuliert:
Es muss ja auch nicht immer Theater-Theater sein.
Claudio Gatzke, Ensemblemitglied Volkstheater Wien
Gemeinsame Suche
Das Theater am Arthur-Schnitzler-Platz möchte deshalb auch in der kommenden Spielzeit ein unprätentiöser, offener und niederschwelliger Ort für alle sein. „Es zeigt nicht vom Elfenbeinturm hinab, kreist nicht um sich selbst, hat nicht bereits alle Antworten parat“, ist man sich am Volkstheater einig. Vielmehr gilt es, Fragen zu stellen und gemeinsam nach möglichen Antworten zu suchen – gerade in Kriegs- und Krisenzeiten.
Zum Spielzeitstart bringt das Volkstheater einen Klassiker der Weltliteratur auf die Bühne, der zumindest erahnen lässt, was die Welt im Innersten zusammenhält: Johann Wolfgang von Goethes „Faust“. Kay Voges inszeniert das Stück in Zusammenarbeit mit dem Fotografen Marcel Urlaub und stellt die Fotografie – als Augenblickskunst schlechthin – in den Fokus. Des Themenschwerpunkts Erdöl nehmen sich die chilenische Regisseurin Manuela Infante und der Regisseur Sascha Hawemann an, wobei Infante einen hochmusikalischen Noise Essay entwirft. Der belgische Regisseur Luk Perceval bündelt gleich fünf Shakespeare-Stücke zu einem Abend mit dem Namen „Rom“. „Natürlich wird es auch lustig“, verspricht Kay Voges und holt dafür Leander Haußmann ans Haus. Der ehemalige Bochumer Intendant wird Molières Komödie „Der eingebildete Kranke“ inszenieren. Außerdem kommt mit „Apokalypse Miau“ eine Weltuntergangskomödie zur Uraufführung.
In den Bezirken möchte Leiter Calle Fuhr die Verbindung von Journalismus und Theater weiter vorantreiben und dabei stets in die Stadt hineinhören. Mit Beiträgen von Jonathan Meese und Paul McCarthy sowie einem Bühnenbild von Tobias Rehberger schlägt das Volkstheater zudem eine Brücke zur bildenden Kunst. Außerdem wird die Weltsimulationsmaschine im Zentrum Wiens auch wieder zur Konzertbühne – etwa für die Kings of Convenience, deren Debüt von 2001 den Namen „Quiet Is the New Loud“ trägt. Ob das auch für das Volkstheater gilt? Wohl eher nicht. Und das ist gut so.