Leopoldstadt von Tom Stoppard
Die Lebensgeschichte eines assimiliert-jüdischen Clans von 1899 bis 1955 wird in diesem Stück des berühmten britischen Dramatikers drastisch vor Augen geführt.
Inhalt
Die großbürgerliche, assimiliert-jüdische Familie Merz feiert 1899 Weihnachten, auch einige angeheiratete Christen sind dabei. Voll der Hoffnung schauen alle dem neuen Jahrhundert entgegen. Man lernt eine Vielzahl von Figuren kennen, darunter der reiche Großindustrielle Hermann Merz. Die Familie hat es weit gebracht, zählt Gustav Klimt und Arthur Schnitzler zum Bekanntenkreis. Auf der Feier werden typisch jüdische Witze gemacht und über Theodor Herzls „Judenstaat“ ebenso debattiert wie über den aufkommenden Antisemitismus.
Das Stück folgt dem Clan über die Jahrzehnte bis 1955 und zeigt, wie eng deren Schicksal mit der Geschichte Österreichs verwoben ist. Unter den zahlreichen Szenen, die zwischen den Themen Assimilierung und Verfolgung pendeln, ist eine, in welcher die Wohnung der Merz beschlagnahmt und Hermanns Firma arisiert wird. Es kommt aber auch zur Sprache, wie manche Familienmitglieder denken, sie seien als assimilierte Juden vor Verfolgung sicher. Schlussendlich sieht man drei Überlebende, die darüber sprechen, wer in Auschwitz, wer beim Todesmarsch und wer durch Selbstmord starb.
Werkgeschichte
Der berühmte britische Autor und Dramatiker Tom Stoppard erfuhr erst in den 90er Jahren von seiner jüdischen Herkunft und davon, dass seine Großeltern und weitere Verwandte in Konzentrationslagern starben. Er schrieb „Leopoldstadt“ somit mit autobiografischem Antrieb. Die Geschichte jedoch hat mit seiner eigenen Vita wenig zu tun. Stoppard verfasste „Leopoldstadt“ zwischen 2018 und 2020.
Aufführungsgeschichte
Die Uraufführung von „Leopoldstadt“ fand im Februar 2020 im Londoner Wyndham's Theatre statt. Stoppards Sohn Ed spielte darin eine Hauptrolle. Die Kritiken überschlugen sich, es war von „einem Gruppenporträt von atemberaubender Dichte“, einem „Laserblick auf die Vergangenheit“ (The New York Times) und von einem „Stück über geforderte und versuchte Assimilation und ihren grausam hohen Preis, das einen mitten ins Herz trifft“ (Daily Telegraph) die Rede – und weiter: „Ohne auf seine intellektuelle Brillanz zu verzichten, schreibt Stoppard hier direkter und ungeschützter als je zuvor.“ Mit der Übersetzung ins Deutsche beauftragte man Daniel Kehlmann, mit dem Stoppard bereits zuvor zusammengearbeitet hatte.
Zum Autor
Tom Stoppard ist einer der bekanntesten britischen Bühnen- und Drehbuchautoren. Von ihm stammen Werke wie „Rosencrantz und Guildenstern are dead“, „Jumpers" und „Arcadia“. Er schrieb das Drehbuch zum Film „Shakespeare in Love“, wofür er einen Oscar erhielt, und wirkte am Buch des „Indiana Jones“-Films mit. Er wurde als Tomás Straussler in Zlín geboren, das heute in Tschechien liegt. Sein Vater arbeitete bei einem Schuhproduzenten, der seine Leute rechtzeitig aus Tschechien wegbrachte, bevor die Nazis einmarschierten. So landete Stoppard zuerst in Singapur, später in Indien. Durch die zweite Heirat seiner Mutter kam er nach Großbritannien, wo er zum berühmten Dramatiker wurde.