„Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frau’n und Männer bloße Spieler“ schreibt Shakespeare in seinem Stück „Wie es euch gefällt“, das aktuell im Burgtheater zu sehen ist. Neben vielen anderen Dingen könnte das auch bedeuten, dass mit dem Begriff Bühne nicht immer nur ein in der Regel rechteckiges Podium gemeint ist, auf dem mit etwas Distanz zum Publikum gespielt, getanzt, gesungen und gesprochen wird. So eng wird das heute glücklicherweise aber ohnehin nur noch selten gesehen. Schließlich geht es im Theater immer auch darum, neue Spielräume aufzumachen und sich – thematisch wie auch räumlich – auf bislang unbespieltes Terrain vorzuwagen. Solche das Spielfeld Theaterbühne ergänzenden Spielräume gibt es auch im Netz, ist man im Burgtheater überzeugt. Wer bei den Twittertheaterabenden des Wiener Theaters dabei war, weiß bereits, wie das gemeint ist und wie das aussehen kann.

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Dagna Litzenberger spielt Joachim Ziemßen in „Der Zauberberg“.

Foto: Burgtheater Wien

In Zusammenhang mit Bastian Krafts Inszenierung von Thomas Manns monumentalem Zeitroman „Der Zauberberg“ ist nun ein weiteres digitales Theaterprojekt geplant. Nicht auf Twitter, sondern auf der Plattform TikTok, erklärt Anne Aschenbrenner, die für die digitalen Agenden des Burgtheaters verantwortlich zeichnet. Dass die Wahl diesmal auf TikTok fiel, hat, so Anne Aschenbrenner, mehrere Gründe: „Einerseits finden wir im ‚Der Zauberberg‘ viele Parallelen: Hans Castorp erliegt der Zauberberg-Welt auf der Suche nach Lebenssteigerung und gerät schließlich in einen Sog, aus dem er nicht mehr herausfindet. Diesen Zustand kennen wir als Social Media User*innen doch sehr gut. Andererseits passt TikTok rein von den spielerischen Interaktionsmöglichkeiten ideal zur Inszenierung.“

Damit greift das Projekt auch Bastian Krafts Herangehensweise an seine Inszenierung auf, ergänzt Sebastian Huber, der als Dramaturg schon mehrere digitale Projekte des Theaters mitgestaltete. Wie schon in Krafts Bühnenadaption von „Dorian Gray“ interagieren die Zauberberg-Darsteller*innen mit zuvor aufgenommenen Videos, die auf einen großen weißen Berg in der Mitte der Bühne projiziert werden. Als Duett würde man diese Form der Interaktion im TikTok-Universum bezeichnen.

TikTok als theatrale Plattform

Wie man sich den Ablauf des #TikTokTheaters vorstellen kann, möchten wir von der Journalistin und Digital-Expertin wissen. „Es gibt mehrere Erzählebenen, die zunächst Plot und Figuren des Romans einführen: Mini-Reportagen geben Einblick in die Probenarbeit und erzählen gleichzeitig vom Roman.  Zeitraffer-Videos aus der Maske führen die Figuren auf das TikTok-Spielfeld, die Schauspieler*innen haben dafür eigens Texte eingesprochen. Und dann gibt es Szenen aus der Inszenierung, mit denen die User*innen mittels Duett- und Stitch-Funktion mit den Burgtheater-Ensemble spielen und ihre eigene Zauberberg-Version entwickeln können“, fasst Anne Aschenbrenner zusammen.

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TikTokTheater
Felix Kammerer spielt Madame Chauchat, die kränkliche Schönheit im Sanatorium Berghof auf dem Zauberberg.

Foto: Burgtheater Wien

TikTok ist an sich schon eine sehr theatrale Plattform, merkt Sebastian Huber an. Er fügt hinzu: „Anne Aschenbrenner und ich sind immer auf der Suche nach Plattformen, die wie Theater funktionieren, in denen sich der theatrale Raum erweitern lässt. Es geht uns also nicht so sehr darum, mit dem Theater auf Neue Medien zuzugehen, vielmehr möchten wir uns auf bestehende formale Ähnlichkeiten beziehen. Auch bei Twitter war der leitende Gedanke, dass die Plattform eine gewisse theatrale Qualität mitbringt. Man begibt sich in einen Raum, um sich dort neue Möglichkeiten auszudenken. Das kann spannend und produktiv sein.“

Und Anne Aschenbrenner ergänzt: „Die dominanten Interessen hinter digitalen Räumen sind heute vorwiegend kommerziell bestimmt. Es ist auch Aufgabe der Kultur, die kommerzielle Ausrichtung des Digitalen Raums nicht fortschreiben, sondern ihn mitzugestalten. ‚Der Zauberberg‘ ist dazu einfach die richtige Inszenierung zur richtigen Zeit.“

Vom Zauberberg ins Kaninchenloch

Zudem gibt es auch auf inhaltlicher Ebene spannende Zusammenhänge zwischen Thomas Manns 1924 erschienenem Roman und TikTok als digitaler Plattform. „Im ‚Zauberberg‘ geht es darum, wie Zeit vergeht. Wie und ob man es überhaupt bemerkt und in welchem Verhältnis das subjektive Zeitempfinden zur mechanisch gemessenen Zeit steht. Darüber hinaus spielt die Beziehung zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit eine zentrale Rolle. Auch bei unserem Projekt findet eine Entkopplung von Zeit und Raum statt. Unter anderem deshalb, weil man weit über die Premiere hinaus mit den Figuren spielen kann und wir dadurch die Kontrolle über die Erzählzeit aus der Hand geben“, sagt Sebastian Huber.  

TikTokTheater
Sylvie Rohrer spielt Naphtha in „Der Zauberberg“.

Foto: Burgtheater Wien

Eine weitere Verbindung drängt sich auf: In gewisser Weise erinnert die Situation der Zauberberg-Hauptfigur Hans Castorp (aus einem Kurzbesuch in einem Davoser Lungensanatorium wird ein siebenjähriger, erst durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs beendeter Aufenthalt) ein wenig an jenes TikTok-Kaninchenloch, in das man erst kürzlich auf der Suche nach ein wenig Ablenkung und Zerstreuung gefallen ist – und aus dem volle zwei Stunden lang kein Weg hinausführte. „In gewisser Weise ist also auch das Netz ein Zauberberg“, bringt es der Dramaturg auf den Punkt.  

Der Zauberberg - #TikTokTheater

ist ab 5. Jänner 2023 auf der TikTok-Bühne zum Mitspielen und ab 3. Febrauar 2023 als Langversion um 19:00 Uhr auf der Burgtheater-Website.

Zu den Spielterminen von „Der Zauberberg“ im Burgtheater!