Die letzte Diva: Zu Besuch bei Dagmar Koller
Dagmar Koller hat sich selbst erfunden und daraus einen Star gemacht. Ehrgeiz, Witz & Glamour pflasterten ihren Weg zur Show-Legende. Und – natürlich – die übergroße Liebe zu Helmut Zilk.
Man kennt sie aus dem Fernsehen. Von Talkshows und den „Seitenblicken“. Dagmar Koller, diese wundersame Dame, die sagt, was sie denkt, ohne an Letzteres allzu viel Zeit zu verschwenden. Geradeheraus ist sie, so als wäre eine gute Pointe allemal besser als ein kluger Sager. Womit sie recht hat. Denn sie ist Entertainerin, eine von dem Schlag, die Unterhaltung als Gesamtkunst versteht.
Dagmar Koller hat heute Kultstatus, was für sie ein großer Erfolg sein muss. Denn allzu oft hat man sie nicht ernst genommen, dann musste sie es wieder einmal allen zeigen. Jetzt genießt sie Narrenfreiheit. Und zwar in der Definition, Dinge sagen und tun zu können, die anderen verwehrt bleiben. Ergo die größte Freiheit.
Einen persönlichen Termin bei ihr zu bekommen fühlt sich an, als würde man um eine Audienz beim Papst ansuchen. Ehrfurcht gebietend. Und dann so viel lustiger. Am Telefon erfährt man ihre berühmte Adresse in der Naglergasse, die ohnehin ganz Wien kennt, dazu die Türnummer. Man läutet zur vereinbarten Zeit, und los geht’s.
Surprise, surprise
Schwungvoll öffnet sich die Tür – und da steht sie. Von Kopf bis Fuß die Koller, in mitternachtsblauen Stretch-Jeans und 12 Zentimeter hohen Stilettos. Perfekt frisiert. Dezent geschminkt. Flirt in den Augen.
„But you were like the peacock in the backyard zoo and nobody seemed to have such a rad style as you“, dröhnt es aus dem Hintergrund. Ankathie Koi bringt gerade auf FM4 ihren Song „Cats and Diamonds“ zu Gehör. Dagmar Koller empfängt den Jugendkulturradiosender aus einer monströsen Gerätschaft, die sie in den 1970er-Jahren geschenkt bekommen hat, wie sie erzählt. FM4, wer hätte das gedacht. „Warum?“, meint sie. „Die spielen doch so tolle Musik, ich mag das!“ Später wird sie auch noch zu „In Time“ von FKA Twigs summen und Lil Peeps „California World“ ein paar Tanzmoves widmen.
Kluge Karriereschritte
Im Inneren der großzügig dimensionierten Altbauwohnung offenbart sich ein ganzes Leben: Bücher stapeln sich in vielen Ecken, Bilder streiten sich an den Wänden um die Aufmerksamkeit des Betrachters, eine Helmut Zilk darstellende Marionette hängt im Vorzimmerfenster. „Es ist alles zu viel“, stöhnt Dagmar Koller. „Ich entdecke immer wieder Sachen, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie besitze. Aber ich habe schon aufgegeben, in vierzig, fünfzig Jahren bringt man ständig Dinge mit nach Hause und hat gar nie die Muße, sie zu genießen.“
Auf einem Couchtisch steht eine Flasche Whisky, dazu elegante Kristallgläser. Daneben eine Schachtel Zigaretten. „Hin und wieder rauche ich eine“, bekennt sie freimütig. „Ich mache alles, auch wenn es verboten ist. Da drüben liegt meine schöne blaue Pfeife, die ist mein größtes Vergnügen.“ Nur nicht in der Öffentlichkeit. „In Hamburg, wo ich in den 1970ern ‚Das Mädchen Irma la Douce‘ gespielt habe, wurde ich einmal mit dieser Pfeife fotografiert. Das Bild erschien groß in der Zeitung, und ich bekam Fanpost, in der stand: ‚Du Hure aus Wien, auf dich haben wir gerade noch gewartet.‘“
Solche Geschichten kann sie im Dutzend erzählen. Auch von anhänglichen Kollegen und schmierigen Intendanten, die sich Gegenleistungen für Engagements erwartet haben. Doch da waren sie bei ihr an der falschen Adresse. Ihre Männer hat sie sich selber ausgesucht. Und ihre Karriereschritte klug gesetzt. Schließlich musste sie hart kämpfen, um auf eine Bühne zu kommen.
„Madama Butterfly“ am Kreuzbergl
Mit fünfeinhalb Jahren hat sie in der Kinderballettschule Klagenfurt zu tanzen begonnen. „Meine Mutter war alleinerziehend und hat mich zum Ballett geschickt, damit ich versorgt war, während sie als Fremdsprachenkorrespondentin gearbeitet hat. Mich hat das Training sofort fasziniert, ich war in der ersten Stunde so nervös, dass ich mir in die Hose gemacht habe.“
Dass sie Menschen in ihren Bann ziehen kann, merkte sie schon damals. „Wir waren als Kinder immer zum Eislaufen auf dem Kreuzbergl. Dort habe ich ein paar Mäderl um mich geschart und ‚Madama Butterfly‘ gespielt. Ich habe mir mit Mehl das Gesicht angestrichen, und wir haben losgejault“, kann sich Dagmar Koller noch heute herrlich über ihre Anfänge amüsieren. Später studierte sie Tanz an der Akademie in Wien und nahm schließlich auch Gesangsstunden. „Am wohlsten fühle ich mich aber noch immer als Tänzerin. Ich bin überzeugt davon, dass ich auch im Gesang alles nur erreicht habe, weil ich eine Tänzerin war. Denn alles, was ich nicht an Stimme hatte, habe ich mit Tanz erfüllt.“
Immer auf der Suche nach Freiheit
Den Spagat kann sie heute noch, führt ihn aber nicht mehr vor, weil auch da nur böse Briefe kommen würden. Das musische Talent, sagt sie, habe sie vom Vater, der akademischer Maler war. Die Mutter hingegen hätte selbst „Hänschen klein“ nicht singen können. Dafür war sie emanzipiert und selbstbestimmt, was ihr zwar in der damaligen Männerwelt nicht geholfen, in der Tochter aber ebenfalls den Keim zur Unabhängigkeit gelegt hat.
Dagmar Koller machte rasant Karriere. In Österreich, Deutschland und in Übersee. Operette und Musical wurden ihre Fächer, „Das Land des Lächelns“, „My Fair Lady“ und „Der Mann von La Mancha“ ihre größten Erfolge. In den USA lernte sie einen reichen Amerikaner kennen, der auch ihre kritische Frau Mama begeisterte. „Er hat meine Mutter nach Chicago geholt und ihr eine Wohnung in der Marina City gekauft.“
Doch der generöse Herr wollte nicht, dass Dagmar weiterhin auftrat. „Also bin ich abgehauen und nach Berlin geflogen, um ein Engagement als Rösslwirtin anzunehmen.“ Die Mutter litt sehr unter der Trennung, Dagmar genoss die wiedergewonnene Freiheit. Dazu gehörten aber auch übergriffige Theaterdirektoren. „Ungut, aufdringlich, zudringlich waren viele. Aber ich habe mir die Typen gemerkt, die unanständig zu mir waren, und ich konnte mich immer wehren.“ Zärtlicher Nachsatz: „Der Einzige, bei dem ich mich nicht gewehrt habe, war der Helmut Zilk.“
„Das geht Sie einen Schmarrn an!“
Dabei war das Kennenlernen alles andere als romantisch. „Er hat mich bei einer Einladung gefragt, wo ich denn diese blöden Stiefel herhätte? Und ich habe geantwortet, das gehe ihn einen Schmarrn an.“
Man kam sich schließlich doch näher, heiratete gegen den Willen der Mutter 1978 und blieb bis zu Helmut Zilks Tod im Jahr 2008 ein Ehepaar. „Er war mein Lehrer. Ich war fasziniert von ihm als geistiges Oberhaupt. Und er war stolz auf mich. Wenn ich aufgetreten bin, war er so nervös, dass er immer Würschtl essen ging. Wenn er mich dann abgeholt hat, war ihm regelmäßig schlecht.“
Und aufgetreten ist sie weiterhin. Er wurde Bürgermeister, sie TV-Star. Der Bühne blieb sie dennoch treu. Ihr legendärster Auftritt fand dennoch abseits des Theaters statt: 1999 auf der Regenbogenparade. Mehr Applaus hatte sie nie, eine frenetischere Liebe wurde ihr nie wieder zuteil. Als Schwulenikone in die Geschichte einzugehen ist für Dagmar Koller, die schwule Männer schätzt, ein Segen. Dass sie je wieder auftreten wird, glaubt sie, die jeden Tag trainiert und heuer 82 Jahre alt wird, nicht. „Ich wüsste keine Rolle für mich. Vielleicht bin ich aber auch nur zu faul“, lacht sie, denn Angebote gäbe es durchaus.
Frau Koller, denken Sie auch an den Tod? „Natürlich. Auch ich habe ein Ablaufdatum. Wenn ich ins Bett gehe, denke ich manchmal, wer weiß, ob ich morgen noch lebe. Das wäre eigentlich ein schöner Tod. Mein Gott, was ich für ein Leben hatte!“ Nein: habe.
Zur Person: Dagmar Koller
1939 geboren, debütierte sie mit 17 als Tänzerin an der Wiener Volksoper. Doch ihre größten Erfolge feierte sie im Musical und in der Operette. Tourneen um die halbe Welt, zahlreiche TV-Sendungen und ihre Ehe mit Helmut Zilk machten sie zur Legende.