„Man muss schauen, dass man nicht beim Psychiater landet“, sagte Christiane Hörbiger, als ich sie Ende der 1990er-Jahre in ihrem Haus in Baden interviewte. Diese Erklärung kam staubtrocken auf die Frage, was es einem seelisch abverlangt, sich ständig in die Befindlichkeiten unterschiedlicher Figuren hineinfühlen zu müssen. Sie erzählte damals von der Qualitätsbesessenheit der Mutter Paula Wessely, die hinter der verschlossenen Tür „ihres Boudoirs“ beim Textlernen jeden Satz in verschiedenen Betonungsnuancen abgeklopft hatte, während der Vater Attila Hörbiger „den Beruf wesentlich lockerer nahm“: „Irgendwann, als es ihm gereicht hatte und der Papa die Flucht ins Kaffeehaus angetreten hat, hat sie ihm nachgerufen: ‚Siehst du, deswegen hast du immer nur Bergsteiger und Lokführer gespielt.‘“

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Mit dem Tod von Christiane Hörbiger stirbt auch ein Stück von jener zutiefst österreichischen Kulturerrungenschaft, die man salopp als „Burgtheaterdeutsch“ bezeichnet: Es ist eine ganz eigene Form von Sprachpräzision, eingebettet in einen Singsang mit ein bisschen zart angedeuteter Wien-Färbung; eine Lautmalerei, die einen so nostalgisch wie sentimental werden lässt. Elisabeth Orth, Christianes Schwester und Doyenne der Burg, und Michael Heltau, der leise seinen endgültigen Rückzug angetreten hat, sind wohl zwei der wenigen, die dieses Timbre in dieser Vollkommenheit noch authentisch beherrschen.

Heltau hat auch die herrlichsten Anekdoten über die Clan-Mutter, die Wessely, im Erzählgepäck: „Die Paula“ sei so fanatisch gewesen, dass sie hinter der Bühne eine Szene, die sie zuvor nicht zu ihrer Zufriedenheit gegeben hatte, noch einmal nachspielte. Das Charmante an den drei Hörbiger-Schwestern ist, wie Elisabeth Orth so bezaubernd bei ihrer Zuschaltung beim Nestroy-Theaterpreis anlässlich der Lebenswerk-Ehrung zeigte, dass sie eine gewisse Lobhudelei-Resistenz besitzen. „Legen wir’s in trockene Tücher“, pflegte die Wessely gerne zu rufen, wenn sich zu viel Pathos beim Probieren eingeschlichen hatte. Und Elisabeth Orth resümierte ihr eisernes Berufsethos einmal mit dem Satz: „Da oben ist immer Zahltag.“

Was die Redgraves für Großbritannien bedeuten, die Barrymores und Chaplins für Hollywood symbolisiert haben, das verkörpert der Hörbiger-Wessely-Clan für Österreich. Seit über einem Jahrhundert stellt die Dynastie das Nervenzentrum österreichischer Darstellungskunst und ist Projektionsfläche der Zuneigung für das mimenfanatische österreichische Publikum. Wobei der historischen Präzision willen erwähnt werden muss, dass bereits Mitte des 19. Jahrhunderts Paula Wesselys Tante Josephine, Schwester des Fleischer-Vaters, als „Göttin der Burg“, so der intime Kenner der Dynastie, Georg Markus, firmierte, allerdings bereits mit 27 Jahren 1887, angeblich an einer Geschlechtskrankheit, verstarb.

„Es ist auch ein demütigender Beruf“, erzählte Mavie Hörbiger, die ihre Wucht immer mehr entfaltet, in Christian Reichholds großartiger ORF-Dokumentation über den Clan, „man ist doch sehr fremdbestimmt.“ – „Das Leben ist bei mir sicher zu kurz gekommen“, erzählte Christiane Hörbiger damals bei unserem Gespräch, „ich hatte Angst, dass man mir zu viel Leben gleich ansieht. Es war vor allem Disziplin, Disziplin und noch einmal Disziplin.“

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In Kombination mit einer großen Leidenschaft, die sich bei allen Mitgliedern durchzieht. Mit dieser DNA hat der Clan die Theaterverrücktheit dieses Landes entscheidend mitbestimmt. Eigentlich haben sie das Genre des „Publikumslieblings“ mitbegründet, wenn nicht sogar erfunden. Danke dafür! Und nichts brauchen wir zurzeit mehr als Publikumslieblinge.

Zur Person: Angelika Hager

Sie leitet das Gesellschaftsressort beim Nachrichtenmagazin „profil“, ist die Frau hinter dem Kolumnen- Pseudonym Polly Adler im „Kurier“ und gestaltet das Theaterfestival „Schwimmender Salon“ im Thermalbad Vöslau (Niederösterreich).